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Der kalte Kuss des Todes

Der kalte Kuss des Todes

Titel: Der kalte Kuss des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanowa
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seine Verlobte los. »Ich wollte euch holen. Unten haben sich schon alle versammelt. Man wartet nur noch auf euch.«
    »Kommst du, Katja?« Sergejs schmächtige Gestalt tauchte in der Tür auf – Katjas Wunsch hatte sich erfüllt. Verwundert blickte Sergej von einem zum anderen.
    »Was ist denn mit euch los?«, wollte er wissen.
    »Nichts.« Katja ging zur Tür. »Es ist schon spät, wir müssen nach Hause.«
    Doch als sie die Treppe hinunterging, wurde ihr klar, dass sie jetzt noch nicht fahren konnte. Es waren offenbar weitere Gäste eingetroffen. Im Wohnzimmer erblickte sie vier eindrucksvoll aussehende Männer in teuren Maßanzügen, die sich lebhaft mit Waleri Kirillowitsch unterhielten. Sergej erklärte ihr leise, dass die verspäteten Ankömmlinge bosnische Serben seien, gute Freunde der beiden älteren Basarows. Katja kam es so vor, als sei diese ausländische Delegation weniger zur Gedenkfeier für den »Patriarchen« hier als vielmehr aus einem anderen Grund, der nichts mit der Trauer um den Toten zu tun hatte.
    Und sie irrte sich nicht. Stepan lud alle Anwesenden ein, an einer Weihefeier teilzunehmen. Mehrere seiner Schüler hatten den Lehrgang beendet, und an diesem Abend sollte ihnen ein »Meisterdiplom« verliehen werden.
    Die Nacht war feucht und schwül. Am anderen Ufer des Flusses hörte man fernes Donnergrollen. Das lang erwartete Gewitter näherte sich. Die Lichtung vor den Kiefern war von den Scheinwerfern der geparkten Autos hell erleuchtet. Vor dem Altar hatte man zwei große Feuer entzündet.
    Im roten Schein der Flammen hatten sich die bis zum Gürtel nackten Schüler in zwei Reihen aufgestellt und bildeten eine Art lebendigen Korridor. Sie skandierten: »Die Rüstung haben sie fortgeworfen . . . wie rasende Götter schlugen sie sich. . . stark wie Bären. . . die Feinde fielen rechts und links . . . wie vom Blitz erschlagen . . .« Es klang wie eine Furcht erregende Hymne ohne Musik.
    Verstohlen betrachtete Katja die Gäste. Waleri Kirillowitsch, der sich kaum noch auf den Beinen halten konnte und sich auf den Arm seiner Frau stützte, flüsterte den bosnischen Serben irgendwelche Erklärungen zu. Diese lächelten und nickten billigend. Dann zogen sich zwei von ihnen bis zum Gürtel aus und stellten sich ebenfalls in die Reihe. Auf ihrer Brust bemerkte Katja eine komplizierte Tätowierung. Sergej streckte neugierig den Kopf vor, während Lisa finster ins Feuer starrte. Unter den jungen Leuten fehlte nur Iwan Basarow.
    Stepan stand seitlich neben dem Altar: eine dunkle Gestalt vor dem Hintergrund des Waldes. Langsam ging er auf den Baumstumpf zu. Offenbar befanden sich in dem Einschnitt besondere Vertiefungen, denn er zog die beiden Finnmesser heraus, drehte sie um und steckte sie über Kreuz wieder hinein, diesmal mit der Spitze nach oben.
    »Mit Gott«, sagte er und gab ein Zeichen.
    Doch die Weihe erwies sich als durch und durch heidnisches Ritual. Die Jungen nahmen Anlauf und vollführten einen Salto in der Luft, wobei sie durch die gekreuzten Messer sprangen. Das alles hatten sie wie eine Zirkusnummer eingeübt. Dann liefen sie zum Fluss, schwammen zum anderen Ufer und wieder zurück. Als die »Wassertaufe« vollzogen war, schritt Stepan die Reihe ab. Dabei schlug er jedem Schüler mit der flachen Hand kräftig gegen die nackte Brust. Katja reckte den Hals, um genauer zu sehen, was geschah – und es lief ihr kalt den Rücken hinunter: Basarow presste jedem der Geweihten ein Metallabzeichen mit dem Logo des Survival-Camps ins nackte Fleisch. Ein Abzeichen mit einer langen spitzen Nadel, wie man sie zur Befestigung an Uniformen benutzt. Die jungen Männer schienen den Schmerz gar nicht zu spüren und auch nicht die feinen Rinnsale von Blut wahrzunehmen, die aus den Wunden rieselten.
    Dann flammte ein Blitz auf, es donnerte, und strömender Regen setzte ein. Die Lagerfeuer erloschen. Die Zuschauer rannten zu ihren Autos. In Sergejs Shiguli saß Dmitri. Das Wasser lief nur so an seiner Kleidung herunter.
    »Die reinsten Niagarafälle! Sergej, bring mich bitte zur Datscha zurück. Bei Onkel Waleri im Auto sitzen diese Jugoslawen und singen Lobeshymnen auf unseren russischen Bären«, sagte er. »Stepan ist doch immer wieder für eine Überraschung gut. Was der aus einer Trauerfeier machen kann! Sie brauchen gar nicht von mir abzurücken, Katja. Ich passe schon auf, dass ich Ihr schönes Kleid nicht schmutzig mache.«
    »Wie kommen wir nachher wieder auf die Chaussee?«, fragte Sergej und

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