Der kalte Kuss des Todes
Nie!«
Als Orientale liebte Renat es, nur halb zu sagen, was er meinte und dann zu beobachten, wie der Gesprächspartner reagierte. Kolossow kannte diese Marotte und wahrte diplomatisches Schweigen. Chalilow führte seine Idee weiter aus: »Wir schnappen uns also die Bande – okay. Staatsanwaltschaft und Untersuchungsführer werden darauf bestehen, das Belastungsmaterial zu legalisieren, also zerren wir unsere Leute vor Gericht. Aber das hilft uns noch nicht viel weiter. Wie sollen wir Goscha bearbeiten? Einflussnahme in der Zelle können wir vergessen. Den kennt das ganze Gefängnis. Und er selber ist viel zu gewieft.« Chalilow zog verächtlich seine schwarzen Augenbrauen hoch. »Lärm, Ärger, Hektik. . . Anwälte, Nervenkrieg. Goscha wird schweigen wie ein Grab, die Staatsanwaltschaft wird Ach und Weh schreien . . . der Fall geht in die Binsen und so weiter.«
»Was schlägst du konkret vor?«, fragte Kolossow.
»Ich? Ich würde bei Brillanten-Goscha nach dem Muster des Falschen Demetrius vorgehen.«
Renat hatte völlig Recht – einen so erfahrenen Kriminellen wie Brillanten-Goscha erst nach der Verhaftung im Untersuchungsgefängnis aushorchen zu wollen war sinnlos. Was sie in erster Linie von ihm wissen wollten – ob er mit dem Mord an Grant zu tun hatte oder nicht – , würde Michailow kaum freiwillig erzählen.
Chalilow schlug eine andere Methode vor: alles zu tun, damit Michailow gezwungenermaßen mit der Wahrheit herausrückte. Man müsste ihn einfach zwingen, und das könnte nur ein einziger Mann – der Blutsbruder Grants, der von dem rasenden Wunsch nach Rache besessen war: der Hai oder vielmehr der Falsche Hai.
»Begreif doch, Michailow hat den Hai niemals gesehen«, wiederholte Chalilow hartnäckig.
Kolossow wusste genau, worauf er abzielte – in der Rolle des Falschen Hais wollte Renat selbst auftreten. Ja, dieser Bursche hatte durchaus das Zeug und Talent dazu, aber. . .
»Das ist ein absolut wasserdichter Plan«, ereiferte sich Chalilow. »Man muss die Sache nur so hinkriegen, dass er flieht und von seiner Wache abgeschnitten ist. Dann nehme ich ihn mir vor, von Mann zu Mann. Was haben wir bei diesem Plan zu verlieren?«
»Verlieren« konnte man dabei nicht zuletzt das Leben, doch Chalilow war ungewöhnlich hartnäckig und setzte sich durch. Irgendetwas musste in jedem Fall getan werden, um die Michailow-Hypothese zu überprüfen. Von oben war angeordnet worden, »die Ermittlungstätigkeit zu aktivieren«. Und so beschloss Kolossow, das Risiko einzugehen.
Sie warteten den Geburtstag von Berns ab. Dann sollte die ganze lustige Gesellschaft mit möglichst viel Trara und Aufsehen hochgenommen werden. Für den Sturm auf das ruhige kleine Restaurant »Bei Onkel Senja« hatte man eine große Zahl von Einsatzleuten abgestellt.
Und dann kam endlich die Nachricht: Berns hatte den »Onkel Senja« für den ganzen Abend des 26. Mai gemietet. Unter den geladenen Gästen an diesem Samstag war auch Michailow. Nach dem Plan des »Falschen Demetrius« sollten der ganze Lärm und das Spektakel bei der Erstürmung des Restaurants Brillanten-Goscha nur einen gehörigen Schreck einjagen. Auf keinen Fall durfte er verhaftet werden.
Berns hatte seine Gäste für acht Uhr abends bestellt. Michailow traf als einer der Ersten in Begleitung seiner Leute ein. Berns und er verschwanden zunächst in einem separaten Raum, um ein vertrauliches Gespräch unter alten Freunden zu führen, dann gingen sie in den großen Gesellschaftssaal. Um neun summte das Restaurant wie ein Bienenstock.
Das Signal zum Angriff kam um Viertel nach elf. Männer der Spezialeinheit OMON stürmten das Restaurant, als wäre es ein Nest von Terroristen und Selbstmordattentätern. Krachend flogen die Fensterscheiben heraus; die Tür wurde mit einem Vorschlaghammer eingeschlagen. Doch als die Miliz in den Saal stürmte und allen, die Widerstand leisteten, die Arme auf den Rücken drehten, ließ einer der Kellner Berns und Michailow schnell und unauffällig durch eine Seitentür auf den dunklen Hinterhof des Restaurants hinaus.
Geduckt rannte Michailow zu seinem Wagen. Er war allein, ohne seine Bodyguards, die im Saal geblieben waren, gebändigt von den Gummiknüppeln der Eliteeinheit. Brillanten-Goscha ließ sich auf den Fahrersitz plumpsen und trat aufs Gaspedal. Etwa drei Kilometer weit verfolgte ihn ein Wolga der Verkehrspolizei mit einem vor Altersschwäche ächzenden Motor. Aber den konnte er abhängen. Glaubte er zumindest. .
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