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Der kalte Kuss des Todes

Der kalte Kuss des Todes

Titel: Der kalte Kuss des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanowa
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    Kolossow schwirrte der Kopf, als er daran zurückdachte, wie sie eine endlose Zahl möglicher Verhaltensweisen Michailows »nach dem Sturm aufs Restaurant« durchgespielt hatten. Beispielsweise konnte er an einen x-beliebigen Ort fahren, sodass jeder vorstellbare Fluchtweg präpariert werden musste, um ihm unterwegs eine unverhoffte Begegnung zu bescheren.
    Selbst in den letzten Minuten vor dem Sturm aufs Restaurant saßen sie noch in Kolossows Büro und gingen die verschiedenen Varianten durch. Das Büro hatte sich in einen Schminkraum verwandelt. Ein Ermittler, der über fünf Jahre Berufspraxis an einem Volkstheater verfügte, beschäftigte sich mit Renats Äußerem. Chalilow war besonders nervös wegen eines Präparats, das in seine Augen geträufelt wurde. Damit der sportliche, athletische Chalilow wie ein echter Fixer aussah, musste man eine Verengung seiner Pupillen bewirken. Dann warteten sie auf den Anruf, um ins Auto zu steigen und an den Ort zu fahren, den die Mitarbeiter, die mit der Beschattung von Brillanten-Goscha beauftragt waren, ihnen nennen würden.
    Sie hatten alles richtig berechnet: Michailow, auch wenn ihm konkret nichts anzuhängen war, hatte trotzdem wenig Verlangen nach einer Begegnung mit der Miliz und zog es vor, sich aus dem Staub zu machen. Nachdem er eine Weile kreuz und quer über die Landstraßen gefahren war, kehrte er nach Moskau zurück. Er ließ den Wagen auf einem gebührenpflichtigen Parkplatz, überschritt genau um Mitternacht die Schwelle des Kiewer Bahnhofs und warf einen raschen Blick auf die Anzeigetafel. Um null Uhr dreißig fuhr von Gleis sechs der Schnellzug Moskau – Bijansk ab. Um null Uhr sieben stieg Michailow in Wagen Nummer neun ein. Er hatte zum doppelten Preis ein ganzes Abteil belegt. Um halb eins blickte er aus dem Zugfenster müde den entschwindenden Lichtern des Bahnhofs nach. Er beabsichtigte, in Kaluga auszusteigen; dort würde der Zug um fünf Uhr morgens eintreffen. Von dort wollte er vom Handy aus seinen Anwalt in Moskau anrufen, um sich über den Stand der Dinge zu informieren.
    Der Schaffner machte seine Runde und kontrollierte die Fahrkarten. Michailow bat darum, ihm Tee zu bringen. Zehn Minuten später klopfte jemand an die Tür – offenbar wurde der Tee gebracht. Michailow streckte den Arm aus und öffnete das Schnappschloss der Abteiltür.
    »Stellen Sie den Tee auf den Tisch, und bringen Sie mir ein sauberes Handtuch.« Er spürte, dass ihm fettiger Schweiß auf der Glatze stand, und hatte den dringenden Wunsch, sich zu waschen. Bei der Fahrkartenkontrolle hatte er dem Schaffner einen Fünfziger gegeben und verließ sich nun ganz auf dessen Flinkheit und Aufmerksamkeit. Er schaute nicht einmal in seine Richtung – er war zu müde, seine Nerven zum Zerreißen gespannt, die Augen fielen ihm zu. Nein, mit dreiundfünfzig noch solche Aufregungen, das war zu viel. . .
    Die dunkle Gestalt kam näher. Michailow drehte erstaunt den Kopf. Ein Paar irrer Augen mit unnatürlich verengten Pupillen starrte auf ihn herunter. Augen, die in dem blutleeren, bleichen Gesicht des baumstarken Unbekannten riesig und unbeweglich wirkten.
    »So, du Laus, jetzt reden wir zwei mal Klartext«, zischte der Unbekannte. »Glaubst du, du kannst meinen Bruder in eine blutige Falle locken und kommst selber ungestraft davon? O nein, da irrst du dich. Ich bin dir schon lange auf den Fersen, du Hund! Die Hände auf den Tisch, aber schnell!«
    Michailow schluckte einen Klumpen in der Kehle hinunter. Diese irren Augen, dieses Zischen, das an eine Kobra vor dem Zustoßen erinnerte . . . Langsam legte er die Hände mit den Handflächen nach unten auf das Abteiltischchen. Unmittelbar vor seinem Gesicht blitzte die Mündung einer Pistole auf. Michailow sah, dass es eine Waffe mit Schalldämpfer war.
    Um Viertel nach vier sprang Chalilow an der Station Kaluga-Sortirowotschnaja vom Trittbrett des Eisenbahnwagens. Der Zug fuhr genau nach Fahrplan. Bald würde er den Bahnhof von Kaluga erreichen. Nach dem Plan sollte Michailow alias Brillanten-Goscha dort festgenommen werden. Jetzt würde die Miliz leichtes Spiel mit ihm haben.
    Chalilow überprüfte das tragbare Aufnahmegerät in seiner Brusttasche – die Aufzeichnung seiner nächtlichen Unterredung mit Goscha war Gold wert. Dann zündete er sich die erste Zigarette nach diesen verrückten fünf Stunden an.
    Die Bahnhofsmiliz der kleinen Vorortstation brachte Chalilow zum Hauptbahnhof von Kaluga. Von dort rief er Kolossow

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