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Der kalte Kuss des Todes

Der kalte Kuss des Todes

Titel: Der kalte Kuss des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanowa
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Kolossow sich schon mehr als einmal mit Chalilow beraten. Er schätzte dessen Meinung. Zugegeben, manchmal neigte Renat zu allzu abenteuerlichen Lösungen, aber viele seiner Ratschläge und Ideen waren es wert, ernst genommen zu werden. So war Chalilow zum Beispiel der Ansicht, man müsse in der jetzigen Situation die Fälle von Sladkich und Grant erst einmal trennen. Er beharrte darauf, dass Brillanten-Goscha, der Anführer der Michailow-Bande, zumindest für den ersten Fall zur Verantwortung gezogen werden müsse. Die Festnahme, schlug Chalilow vor, könne bei der Geburtstagsfeier von Berns stattfinden, einer Mafia-Autorität und einem so genannten »Dieb im Gesetz«, der erst vor kurzem aus dem Straflager entlassen worden war. Nach Chalilows Informationen wollte Berns die Creme de la Creme der Unterwelt ins Restaurant »Bei Onkel Senja« einladen, das vor den Toren der Stadt an der Kiewer Chaussee lag, unweit vom Flughafen Wnukowo.
    Chalilow zweifelte nicht daran, dass Michailow zu den Gästen gehören würde. Die beiden waren seit ihrer Jugend und ihren ersten Schritten im kriminellen Milieu freundschaftlich verbunden; außerdem waren sie sich ebenbürtig, was ihr Prestige betraf. Und in der Welt, in der Berns wie auch Brillanten-Goscha verkehrten, waren Ebenbürtige bemüht, sich gegenseitig den nötigen Respekt zu erweisen – schlechte Manieren konnten gefährlich werden.
    Im Übrigen entsprach Michailow alias Goscha, für den Kolossow sich am meisten interessierte, wenig dem gängigen Bild des Mafia-Paten, wie die Gangsterfilme es in die Gehirne der Spießbürger eingepflanzt haben.
    Brillanten-Goscha hatte die fünfzig schon hinter sich und war damit in einem Alter, in dem Seele und Körper eines Mannes sich nach Ruhe sehnen. Er besaß ein komfortables Haus im Dörfchen Chrapowo bei Mythischtschi, eine Ehefrau, einen vierbeinigen Freund – eine Bulldogge – , Immobilien auf Zypern, vier Limousinen und sogar eine Art legale Firma: eine Kette von Autowerkstätten. Keine nächtlichen Orgien in der Sauna, keine Mätressen, kein Kokain. Brillanten-Goscha war hager und hatte eine Glatze, wirkte ruhig und zurückhaltend. Er litt an chronischem Magenkatarrh und einer entzündeten Prostata, war ein glühender Anhänger von vegetarischer Ernährung und Yoga, konnte weibliche Gesellschaft nur schlecht ertragen, liebte das Dominospiel und Romanzen zur Gitarre. Aber die größte Leidenschaft in seinem Leben war das Anhäufen von Kapital. Von Geld trennte er sich nur höchst ungern. Blutige Abrechnungen mit Konkurrenten mochte er ebenfalls nicht und ließ es nur selten zum Äußersten kommen.
    Eigentlich hatte Igor Sladkich sich selbst in Unannehmlichkeiten gebracht. Die dreiste Auseinandersetzung auf den Straßen von Rasdolsk mit den betrunkenen Michailow-Leuten, die der Exabgeordnete und sein Bodyguard mit einer Maschinengewehrsalve niedergemäht hatten, angeblich in Notwehr, war ihn teuer zu stehen gekommen. Sladkich hatte eine unzulässige Unverträglichkeit an den Tag gelegt und unter dem Schutz seines Abgeordnetenmandats straflos mit der Unterwelt konkurriert.
    Im Prinzip, so urteilten Kolossow und Chalilow, als sie die möglichen Motive für Michailows Verhalten im Fall Sladkich durchgingen, hätte es für den Exabgeordneten gar nicht so bedauerlich ausgehen müssen, wäre er gleich reumütig zu Brillanten-Goscha gegangen und hätte den Mord gestanden. Offenbar hatte Brillanten-Goscha einen solchen Schritt auch erwartet. Es verging nämlich fast ein halbes Jahr, bis er sich zum Handeln entschloss. Fünfzig Lebensjahre, davon fünfzehn hinter Gittern, bedeuten schon einiges. Aber Sladkich hatte eine solche Langmut nicht zu würdigen gewusst.
    Zunächst arbeitete Renat Chalilow wie geplant daran, die Frage zu klären, wann und wo der Killer gemäß Vereinbarung hätte bezahlt werden sollen. Und was noch wichtiger war: ob man das überhaupt ernsthaft vorgehabt hatte. Das Motiv für Grants Beseitigung konnte nämlich auch Michailows phänomenaler Geiz sein. Warum Geld aus den Händen geben, wenn man den, dem man es schuldet, umlegen kann?
    Doch im Lauf seiner Arbeit stieß Chalilow auf ein interessantes Detail. Bei einem ihrer Treffen teilte er dem Chef der Mordkommission viel sagend mit: »Weißt du, Nikita, wir haben herausgefunden, dass Brillanten-Goscha den Hai noch nie gesehen hat. Dass Grant und dieser Fixer Blutsbrüder waren, das wusste er. Aber er ist dem Hai niemals persönlich begegnet. Verstehst du?

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