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Der kalte Kuss des Todes

Der kalte Kuss des Todes

Titel: Der kalte Kuss des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanowa
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bettelten.
    Kolossow erinnerte sich gut an den eifrigen Inspektor Sidorow, der diese armen Narren geschnappt hatte. Schließlich hatte er selbst ihm vor anderthalb Wochen den Auftrag gegeben, gewissenhaft die Fälle der beiden Vermissten, Andrej Jakowenkos und dieses Säufers Soljony, zu überprüfen! Wie alle jungen, beflissenen Berufsanfänger machte Sidorow sich mit großem Ernst an die Aufgabe, die der »Chef aus dem Präsidium« ihm gestellt hatte. Er begann seine persönliche Fahndung, indem er sich mit der Vermisstenabteilung in Verbindung setzte und sich eine detaillierte Personenbeschreibung Jakowenkos geben ließ – welche Kleidung dieser vermutlich getragen und welche Gegenstände er bei sich gehabt hatte. Unter den Gegenständen war eine auffällige Uhr aufgelistet, von der Jakowenko, wie Kollegen und Angehörige erklärten, sich niemals getrennt hatte: eine so genannte »Kommandeursuhr«, die er als Belohnung für die Geiselbefreiung aus einem entführten Autobus in Pjatigorsk erhalten hatte.
    Eine volle Woche graste Sidorow die Gegend um die Siedlung Mebelny ab, wo Jakowenkos Exfrau wohnte, und unterhielt sich mit den Leuten. Eines Abends erblickte er plötzlich eben diese ungewöhnliche Uhr – Zifferblatt aus weißem Metall, russisches Staatswappen, Inschrift »Russisches Innenministerium« – am Handgelenk des Aserbaidschaners Achmed, der am Rasdolsker Bahnhof einen »Duchan« betrieb, einen kaukasischen Imbiss, an dem es Würstchen und Schaschlik, Bier und gefüllte Krautblätter gab. Der Imbiss bestand aus einer kleinen Plastikbude auf Rädern, zwei, drei Gartentischen samt wackligen Stühlen, einer Kaffeemaschine sowie einem Grill.
    Achmed verwies den Milizionär sofort an die Brüder Listow. Eines Abends, irgendwann im April, berichtete er, seien sie vor seiner Bude aufgetaucht und hätten »ein Bierchen und was richtig schön Heißes zu mampfen« haben wollen. Achmed habe das Geld im Voraus verlangt. Und da habe Kostik ihm diese Uhr gezeigt. »Schaitan hat mich in Versuchung geführt, Boss, ich schwöre es«, versicherte Achmed und schlug sich mit der Faust an die mit schwarzem, wolligem Haar bewachsene Brust. »Hab nicht gefragt, wo sie das Ding herhatten. Essen wollten die Bürschchen – ojojoi, hungrig wie die Wölfe waren die! Ich hab ihnen für die Uhr Würstchen, Fleisch und Bier gegeben.«
    Sidorow informierte nicht seine Vorgesetzten, sondern beschloss, die Fahndung auf eigene Faust zu Ende zu führen. Noch am selben Abend suchte er die Listows in ihrer Wohnung auf. Was dann geschah, erzählte er Kolossow.
    »Du lieber Himmel, das war vielleicht eine Bruchbude, Nikita Michailowitsch! Ein grauenhafter Gestank, Geschrei und Gezeter. Die Mutter lag sturzbesoffen im Wohnzimmer, alle viere von sich gestreckt, und der Stiefvater, der Invalide . . . wissen Sie, womit dieser Schnapsbruder sich sein Geld verdient? Er kastriert Kater! Aus dem ganzen Bezirk werden die Viecher zu ihm gebracht. Er nimmt von den Besitzern nur halb so viel wie die Tierklinik. Operiert wird im Badezimmer. Die ganze Wohnung quillt über vor Katern. Manche warten darauf, von ihren Besitzern abgeholt zu werden, manche sind vor Schmerz halb verrückt und rasen die Wände rauf und runter. Auf dem Fußboden im Flur, zusammen mit all den Viechern, kriechen die Kinder herum, eins kleiner als das andere. Sechs hat die Listowa insgesamt, alle von verschiedenen Kerlen. Ihr und diesem Schmarotzer hätte man schon längst die Erziehungsberechtigung nehmen müssen! Kostik und Lenja sind die Ältesten. Als ich kam, waren sie noch nicht da, sie tauchten erst später auf. Anfangs haben sie sich ziemlich gewunden, aber als ich ein bisschen Druck machte, haben sie halbwegs zusammenhängend berichtet. Na, dann hab ich sie gleich aufs Revier gebracht.«
    Die Brüder Listow erzählten den Mitarbeitern der Miliz eine wilde Geschichte: Ende April gingen sie durch den Wald – über den Weg, der die Siedlung Mebelny mit der Bahnstation verbindet. Plötzlich sehen sie, da liegt am helllichten Tag auf einer umgestürzten Birke direkt am Wegrand ein Mann. »Was heißt › liegt ‹ ?«, wollten die Milizionäre wissen.
    »So verrenkt«, sagten die Brüder, »als wär ihm schlecht geworden und er hätte sich über den Baumstamm gebeugt. Wir kommen näher, doch der Mann bewegt sich nicht. Aber da war verdammt viel Blut!«
    Eine nicht weit entfernt liegende Sporttasche zog Kostiks Aufmerksamkeit auf sich. Darin befanden sich zwei Flaschen Sekt und

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