Der kalte Kuss des Todes
Sidorow. Um ihn herum saßen fünf Einsatzleute aus dem Kommando, das zusammen mit Kolossow nach Uwarowka gefahren war. Sie diskutierten lebhaft, ob man den Unglücksfall bereits als abgeschlossen ansehen dürfe. Alle wussten, dass eine gerichtsmedizinische Untersuchung der Leiche Basarows vorgenommen worden war, doch selbst die Experten hatten kein eindeutiges Urteil gefällt. Die gängigste Meinung war, dass hohen Tieren wie dem Firmenboss Basarow nicht so einfach irgendein dummer Unfall passierte. Bei »solchen Leuten« – was immer man darunter verstehen sollte, war nicht ganz klar, aber genauere Definitionen verlangte auch niemand – steckt gewöhnlich mehr dahinter. Der eine fällt zum Fenster raus, und danach rätselt man, ob er etwas mit dem Gold der Partei zu tun hatte. Ein anderer scharrt einen Haufen Geld bei potenziellen Kunden zusammen, gründet eine Bank, kollabiert dann urplötzlich mit einem Herzinfarkt in der Badewanne, und das Geld der Kunden ist futsch. Mit diesem Basarow ist doch bestimmt auch irgendwas faul, nicht wahr? Was meinen Sie, Genosse Major?
Kolossow lauschte den streitenden Parteien mit mürrischer Miene. Insgeheim hatte er sein Urteil im Fall Basarow schon gefällt. Ja, die Sache gefiel ihm nach wie vor nicht, aber inzwischen war es nicht mehr diese Familie, die ihn interessierte, sondern etwas ganz anderes.
»Immer die gleiche Leier – faul und oberfaul!« Das war Inspektor Sidorow, der seine Kollegen zu überschreien versuchte. »Hier bei uns gibt es seit einiger Zeit eine Menge sonderbarer Vorkommnisse. Guckt euch diesen Stapel Anzeigen an. Mir ist davon schon ganz wirr im Kopf! Dauernd verschwindet irgendwelches Kleinvieh – Ziegen, Schafe, Hunde. Unsere Weiber bringen mich mit ihrem Gejammer noch zur Verzweiflung! Gestern habe ich mir mit diesem Blödsinn den ganzen Tag verdorben, bin stundenlang durch den Wald gelatscht. Aber ich hab tatsächlich was gefunden. Bei uns im Wald, Nikita Michailowitsch, muss es irgendein Raubtier geben. Oder ein Rudel verwilderter Hunde.«
»Ein Raubtier?« Kolossow hob den Kopf vom Computerausdruck. »Was du nicht sagst, Sascha. Gehen wir doch nach drüben in mein Büro. Was hast du denn im Wald gefunden?«
»Ein abgeschlachtetes Schaf!« Sidorow, sichtlich geschmeichelt von Kolossows Interesse, erzählte bereitwillig. »Kann höchstens gestern gewesen sein, dass es getötet wurde. Ein frischer Kadaver. Der Räuber hatte offenbar schon mit dem Festschmaus angefangen und wurde dann aufgeschreckt. Ich will mich gleich heute Nacht auf die Lauer legen. Vielleicht kommt diese Bestie ja zu ihrer Beute zurück. Und dann knall ich das Biest ab, und die Sache ist erledigt!«, ereiferte sich Sidorow. »In der Siedlung gibt es schon die wildesten Gerüchte. Ein rückständiges Volk ist das hier, fast nur alte Leute. Aber wer will heutzutage noch auf dem Land versauern? Haben Sie gehört, was Serafima da von einem Werwolf geschrien hat? Was die Leute hier reden, ist schlichtweg Blödsinn. Und ausgerechnet jetzt müssen auch noch diese Morde geschehen . . .«
»Weißt du was, Sascha.« Kolossow stützte die Arme auf die Fensterbank und vertiefte sich in die Betrachtung des vor ihm stehenden mickrigen Kaktus, als könnte er in dessen Stacheln etwas außergewöhnlich Interessantes erblicken. »Hast du was dagegen, wenn ich dir bei deiner Nachtwache im Wald Gesellschaft leiste?«
»Nein.« Sidorow sah Kolossow überrascht an: Was war mit dem Chef der Mordkommission los? Hatte er nicht schon genug eigene Sorgen? »Sie haben ja auch eine Waffe, Nikita Michailowitsch. Und zwei Knarren sind besser als eine, auch wenn es sich vielleicht nur um verwilderte Hunde handelt. Ich verschwinde vorher nur noch mal schnell nach Hause zum Abendessen, hole mir eine Taschenlampe und Gummistiefel, und dann kann’s losgehen.«
Wenn jemand in diesem Moment Kolossow gefragt hätte: Wozu tust du das alles? – , er hätte keine einleuchtende Antwort geben können.
Die gepriesene chinesische Sauce zum Huhn war nichts anderes als gesüßte saure Sahne, dazu klein gehackte Zwiebeln, Knoblauch, ein Teelöffel Honig, Joghurt und Essig – das waren auch schon alle kulinarischen Raffinessen. Als Sergej gerade nicht hinsah, probierte Katja von der Sauce und schüttelte sich. Wo grub Sergej bloß immer diese ungenießbaren Rezepte aus? Ein süßes Huhn, du lieber Gott! Aber so waren die Junggesellen. Wenn sie ihr traditionelles Rührei und die Tütensuppen leid waren, begannen sie
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