Der kalte Kuss des Todes
Großvaters Vermögen – die Wohnung, die Datscha in Uwarowka, die Münzen – und Bildersammlung und noch ein paar andere Dinge. Das alles hat er Stepan, mir und Iwan zu gleichen Teilen hinterlassen.«
»Ist das dein Elektrorasierer, Dmitri?« Kolossows Frage klang sanft, doch irgendetwas in seiner Stimme ließ Katja aufhorchen.
»Nein. Der Rasierer lag immer im Bad. Ich weiß gar nicht mehr, wer ihn mitgebracht hat. Er wurde von jedem benutzt, der ihn gerade brauchte.«
»Aber du hast ihn öfter verwendet als die anderen?«
»Schon möglich.«
»Ist dir aufgefallen, dass das Kabel beschädigt war?«
»Das Kabel war in Ordnung. Ein beschädigtes Elektrogerät hätte ich nicht benutzt. In solchen Dingen bin ich sehr vorsichtig.«
»Ich verstehe. Du warst derjenige, der euren Vater gefunden hat? Und du hast auch den Stecker herausgezogen und den Rasierer ausgeschaltet?«
Katja musste daran denken, dass bereits ein daktyloskopisches Gutachten vorlag und dass Dmitris Fingerabdrücke auf dem Gerät waren. Irgendwie schien Kolossow sich auf ihn eingeschossen zu haben.
»Hast du dich nicht gewundert, dass dein Vater sich noch so spät abends rasieren wollte?«, fragte Kolossow leise.
Fingerabdrücke des Vaters waren ebenfalls auf dem Apparat, wie Katja wusste. Sie verstand aber nicht recht, worauf Kolossow hinauswollte. Warum klammerte er Stepan bewusst aus? Warum fragte er nicht, wo beide Zwillinge sich aufgehalten hatten, als ihr Vater im Badezimmer starb?
»Ich weiß nicht, wieso Papa das getan hat, Nikita!« Dmitri ballte die Fäuste. »Aber gibt es bei solchen Unfällen überhaupt eine Logik oder etwas Ähnliches? Außerdem ist es nicht der erste Fall in unserer Familie, bei dem defekte Technik die Ursache für einen Unfall war.«
»Wen hat es denn noch getroffen? Stepan?«, fragte Kolossow. »Du hast gesagt, er war krank . . .«
»Iwan. Iwan passieren ständig solche Sachen.« Dmitri runzelte die Stirn. »In seinem Auto haben die Bremsen versagt. Wie durch ein Wunder hat er nichts abbekommen. Das Auto war allerdings hinüber. . . Ein Geschenk von Vater. Seitdem hat Iwan sich nicht mehr ans Steuer gesetzt.«
»Mit eurem Iwan habe ich heute Nacht gesprochen. Mir schien, dass er seine älteren Brüder nicht besonders liebt.«
»Das kann man wohl sagen! Unsere Linda Evangelista hat für uns nicht allzu viel übrig!« Dmitri grinste boshaft. »Er schlägt ganz nach seiner verlotterten Mutter, dieser Grünschnabel.« Dmitri senkte den Kopf. »Er hat unserem Vater großen Kummer gemacht. Was meinst du, Nikita, wie schlimm es für den alten Mann war, als er erfuhr, dass sein Sohn kein Mann ist, sondern eine männliche Nutte? Mein Bruder Stepan ist ein Mensch, der nicht lange fackelt. Bei dem gibt’s gleich was hinter die Löffel. Das ist seine Art, mit jungen Leuten zu reden. Aber ich . . . Was habe ich mich mit dieser Rotznase abgeplagt! Vater hat mich darum gebeten. Mit Mädchen habe ich ihn bekannt gemacht, zum Arzt und zum Psychiater habe ich ihn geschleppt, habe mit Engelszungen auf ihn eingeredet, er solle den Ruf unserer Familie nicht besudeln! In diesem Jahr wurde Iwan zum Jura-Studium zugelassen. Vater hat eine Menge Geld dafür bezahlt. Aber er hat das Studium schon nach dem ersten Semester geschmissen. Jetzt hat er sich wieder mit seiner Pop-Clique zusammengetan. Ein Tonstudio haben sie gegründet – dass ich nicht lache! Der Rotzlümmel! Seit April, seit diesem Autounfall, lässt er sich zu Hause überhaupt nicht mehr blicken. Hat sich mit seinen Freunden eine Wohnung genommen. Vater hat mich angefleht, ihn aus diesem Puff herauszuholen, aber was kann ich tun?«
Im Büro herrschte unbehagliches Schweigen.
»Iwans wegen hat Vater seine Gesundheit ruiniert. Das ist eine Tatsache«, fuhr Dmitri schließlich fort. »Wie sehr er darunter gelitten hat, wissen nur Stepan und ich. Und das werden wir Iwan nie verzeihen. Er weiß das sehr gut. Und deshalb hasst er uns.«
»Also gut, die Formalitäten hätten wir damit erledigt, Dmitri. Entschuldige, wenn ich dir Schmerz zugefügt habe . . .« Kolossow zog die Papiere mit dem gerichtsmedizinischen Gutachten näher zu sich heran. Einen Augenblick schwieg er; dann sagte er: »Wann stand eigentlich mit Sicherheit fest, dass euer Vater an Krebs erkrankt war?«
Katja drückte sich in ihren Stuhl und hielt den Atem an. Was sollte das jetzt bedeuten?
»Im Winter. Im Februar.« Dmitri fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht, als wolle er eine unsichtbare,
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