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Der kalte Kuss des Todes

Der kalte Kuss des Todes

Titel: Der kalte Kuss des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanowa
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zu experimentieren.
    »Sehr lecker, wirklich außergewöhnlich«, lobte sie heuchlerisch. »Aber man nimmt von der Sahne sehr schnell zu, deshalb für mich bitte nur ganz wenig von der Sauce.«
    Doch der wohlmeinende Koch begoss den Hühnerflügel auf ihrem Teller großzügig mit seinem Meisterwerk. Jeden Bissen, den sie sich in den Mund steckte, begleitete er mit Blicken und erkundigte sich alle paar Sekunden: »Es ist doch nicht zu scharf? Es schmeckt doch nicht bitter?«
    »Weißt du, worüber ich mit dir reden möchte? Besser gesagt, beraten möchte?«, fragte Katja, als er nach dem Essen den Kaffee servierte. Sergej lächelte wissend: über die Basarows. Genauer, über Dmitri. Worüber sonst? Katja nahm sich das Unglück der Zwillingsbrüder verdächtig zu Herzen. Aber sie trank erst noch einen Schluck Kaffee, legte sich eine Zitronenscheibe in die Tasse und erzählte dann plötzlich von etwas ganz anderem: von den Morden in Rasdolsk.
    »Ja, das ist barbarisch«, sagte Sergej, als sie geendet hatte. »Aber worüber wolltest du dich mit mir beraten? Doch nicht über den Stand der Ermittlungen?«
    Katja schenkte ihm heißen Kaffee nach.
    »Lisa hat ein blaues Auge. Schuld daran ist Stepan. Das ist ganz klar«, bemerkte sie unvermittelt.
    Sergej lehnte sich zurück. Aha, nun kam die Rede also doch noch auf die Basarows.
    »Ein seltsamer Mensch ist das, Sergej, dieser Stepan Basarow. Aber ich wollte mit dir jetzt nicht über ihn reden.« Sie suchte sichtlich nach Worten, als wisse sie nicht, wie sie beginnen solle. »Ich habe vorhin, als du in der Küche warst, mal wieder Taylor gelesen – du weißt schon, den britischen Ethnologen. Was er über den Zusammenhang zwischen den alten Legenden, an die wir als zivilisierte Menschen nicht mehr glauben, und unseren Fantasien und Träumen schreibt, die in diesem alten Aberglauben wurzeln, ist wirklich verblüffend.«
    »Ich verstehe nicht ganz, was du meinst. Was genau findest du bei Taylor so interessant?«
    »Einen besonderen Fall von Lykanthropie.« Katja stand auf und ging in der Küche auf und ab. »Mich interessiert brennend, was Taylor über Menschen schreibt, die sich in Tiere verwandeln können. Beziehungsweise Menschen, die aufgrund bestimmter Umstände glauben, ein wildes Tier zu sein, und die sich entsprechend verhalten. Ich denke dabei vor allem an Lykaon und das Ungeheuer von Gévandan. Ich erinnere mich gut, wie ihr vor der Tansania-Expedition endlos über diese . . . wie nennt man sie, Löwenmenschen, Leopardenmenschen, Hyänen diskutiert habt.«
    »Aber das sind doch alles Märchen, Katja. Selbst für Afrika. Schauergeschichten, um Touristen anzulocken. In Mombasa wird eine solche Show sogar öffentlich gezeigt: › Hyänenmenschen – Rituale, Mythen, Realität. ‹ «
    »Aha, dann sind das alles also Märchen. Gut.«
    »Wieso interessierst du dich dafür, Katja? Willst du nur deinen Horizont erweitern, oder musst du Material für einen Artikel sammeln?«, erkundigte sich Sergej. »Für einen Artikel reicht das nicht. Schreib lieber was über UFOs oder über. . .«
    »Vorläufig weiß ich noch gar nicht, wozu ich das brauche«, unterbrach Katja ihn trocken. »Du hast dich selbst mal für dieses Thema interessiert. Deshalb will ich mit dir darüber reden.«
    »Damals war ich jung und dumm und hab für Afrika geschwärmt.« Sergej seufzte. »Was willst du denn so dringend über Lykanthropie wissen?«
    »Ich würde gern deine eigene Interpretation solcher Begriffe wie › Werwolf ‹ und › Lykanthrop ‹ hören.«
    Katja sah ihn gespannt an. Sie wusste, dass all diese Mystik auch ihn brennend interessierte; er genierte sich nur, es zuzugeben. Sergejs Gedankengänge waren bisweilen sehr unkonventionell, wenn man ihm nur die Gelegenheit und Freiheit gab, sie zu entwickeln.
    »Ein Werwolf ist die Verkörperung der ungezügelten Kräfte der Natur. . . eine Art Widerhall unserer totemistischen Erinnerungen, ein Echo auf die unterdrückten Instinkte des Fleisches, die unbewussten dunklen Begierden. Im Mittelalter waren solche abergläubischen Vorstellungen weit verbreitet. Armut, Hunger, Krankheiten, Kriege, die Hälfte der Bevölkerung Europas litt unter chronischer Unterernährung. In den abergläubischen Vorstellungen vom Tiermenschen, vom Werwolf, der das Fleisch von Menschen und Tieren verzehrt, findet sich vieles wieder, das eine Folge dieser Hungersnöte ist. Aber heute hat dieser Begriff eine ganz andere Bedeutung bekommen. Unsere Auffassung vom Werwolf

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