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Der kalte Kuss des Todes

Der kalte Kuss des Todes

Titel: Der kalte Kuss des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stepanowa
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hinter seinem Führer her, der sich im Wald wie zu Hause fühlte: Er ging sorglos, breitbeinig und trotzdem mit sicherem, festem Schritt, leuchtete den Weg mit der Taschenlampe aus und blieb hin und wieder stehen, um einzelne auffällige Stellen zu überprüfen.
    Schließlich endete der Sumpf. Der Wald lichtete sich. Vor ihnen lag der in der Nacht trüb schimmernde Fluss mit seinem sanft abfallenden Ufer, das mit Riedgras und dichten Sträuchern bewachsen war. Kolossow holte tief Luft: Hier atmete es sich wunderbar leicht. Und erst die Sterne, diese Sterne! Auf dem anderen Ufer sah man orangefarbene Lichter im Dunkel.
    »Gratschowka«, erläuterte Sidorow. »Und ungefähr einen Kilometer im Südosten liegt Uwarowka. Geht man den Fluss weiter hinunter, kommt das einstige Touristenheim Otradnoje. Aber wir, Nikita Michailowitsch, müssen da hinüber. Da ist es, das Wäldchen.«
    Still war es in der Nacht. Am Himmel hing der Mond als schmale Sichel, die schon bald vom Firmament verschwinden würde. Sie spiegelte sich im ruhigen Wasser des Flusses und warf einen dünnen Lichtstreifen auf die glatte Oberfläche, ähnlich einem Kratzer, den eine Nadel auf einer Vinylscheibe hinterlässt. Kolossow blickte zum Mond und auf die Lichter jenseits des Flusses. Mein Gott, hier sollte man nicht auf der Lauer liegen, sondern mit der Angel im Boot dösen, am Lagerfeuer sitzen und Fischsuppe essen . . .
    »Die ganze Fahrt hab ich nachgedacht«, unterbrach der praktisch veranlagte Sidorow seine sehnsüchtigen Träume. »Einfach so sind Sie bestimmt nicht mitgekommen, stimmt’s. Irgendetwas interessiert Sie ganz besonders.« Er drehte sich um und leuchtete mit der Taschenlampe zur Seite, aber so, dass das Licht auch aufs Gesicht des »Chefs aus dem Präsidium« fiel. »Sie haben einen Verdacht, das merke ich. Sie können volles Vertrauen haben, das wissen Sie, nicht wahr? Wenn etwas ist, brauchen Sie bloß zu zwinkern.«
    »In Ordnung, danke. Aber sag mir noch eins, Sascha.« Kolossow schaute immer noch auf die Lichter jenseits des Flusses; er konnte sich gar nicht losreißen. »Was redet man eigentlich im Dorf über dieses verschwundene Viehzeug?«
    »Da wird Verschiedenes erzählt. Auch ganz wirres Zeug, ich hab’s Ihnen ja gesagt. Aber die Männer, die Verstand haben, sind der Meinung, dass sich da ein Dieb eingeschlichen hat. Die einen schieben’s auf die Zugereisten, die anderen auf die Zigeuner – die leben ja in der Gegend. Manchmal verdächtigt sogar ein Nachbar den anderen. Anfangs hab auch ich geglaubt, dass da irgendein Vagabund seine Streiche mit uns treibt. Aber nachdem ich dieses Schaf gefunden habe, kommt mir das ziemlich zweifelhaft vor. Meiner Meinung nach weist das auf ein Tier hin.« Sidorow dachte einen Moment nach, ging gleichsam mit sich selbst zu Rate und wog verschiedene Ansichten ab. »Ich hab mir das Schaf genau angesehen – da ist nichts mit dem Messer geschnitten, nicht ein Gramm Fleisch, alles nur herausgerissen. Das Fell liegt in Fetzen im Gebüsch. Das sind verwilderte Hunde gewesen, todsicher. Dieses Geschwätz von Wölfen ist dummes Zeug. Woher sollen hier bei Moskau Wölfe kommen?«
    Während des Gesprächs stiegen sie einen niedrigen, spärlich mit Bäumen bewachsenen Abhang hinauf.
    »Hier hinüber, Nikita Michailowitsch. Da liegt es, das arme Vieh. Wer hat die schönsten Schäfchen. . .« Sidorow leuchtete ins Gras.
    Zu ihren Füßen erblickten sie schmutzig-weißes Schaffell. Kolossow hockte sich hin und drückte mit den Händen das Gras herunter.
    »Wir sollten uns lieber nicht allzu lange hier aufhalten. Wenn diese Raubtiere uns wittern, kommen sie vielleicht wieder«, meinte Sidorow.
    Kolossow zog ein frisches Paar Gummihandschuhe aus der Tasche.
    »Leuchte lieber, statt wilde Vermutungen anzustellen«, flüsterte er.
    Der Schafkadaver war noch verhältnismäßig frisch. An der Kehle fand sich keine Wunde; dafür war die Flanke schrecklich verstümmelt. Blutige Fleischfetzen und schmutzige Fellklumpen waren herausgerissen. Kolossow packte den Kopf des Schafes an den Ohren, hob ihn leicht an und drehte ihn auf die Seite. Ja, tatsächlich: Das Genick war gebrochen. Verdammt, wieder das gleiche Bild wie bei dem Hund in der Schlucht und wie bei. . .
    »Hör mal, Sascha, weißt du, wie ein Rudel Hunde oder Wölfe jagt? Sie gehen ihrer Beute an die Gurgel und beißen sie tot, nicht wahr? Aber hier. . . sieh mal, das Rückgrat ist gebrochen.«
    Sidorow zuckte die Schultern.
    »Weiß der Teufel. Ich

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