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Der kalte Schlaf

Der kalte Schlaf

Titel: Der kalte Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophie Hannah
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Meistens werden Sie nur zuhören und zulassen, dass Erinnerungen an die Oberfläche kommen.«
    Das klingt ziemlich einfach. Obwohl das »so gut wie gar nicht« erahnen lässt, dass ich irgendwann etwas werde sagen müssen. Aber was? Ich würde mich gern gedanklich darauf vorbereiten.
    Als Ginny erneut das Wort ergreift, hätte ich fast gelacht. Sie spricht langsamer und eine Spur tiefer, trance-ähnlicher, ganz so wie die Karikatur eines Hypnotiseurs, die ich im Kopf hatte: »Sie fallen in einen tiefen, tiefen Schlaf.« Das ist es nicht, was Ginny sagt, aber allzu weit davon entfernt ist es auch nicht. »Ich möchte Sie einladen, sich auf Ihre Atmung zu konzentrieren«, intoniert sie, »und auf Ihren Scheitelpunkt. Der Scheitelpunkt entspannt sich.«
    Warum tut sie das? Sie muss doch wissen, dass sie sich anhört wie ein Klischee. Wäre es nicht besser, wenn sie einfach normal weiterreden würde?
    »Wandern Sie zur Stirn – die Stirn entspannt sich. Die Nase entspannt sich – Ihre Atmung fließt ruhig und regelmäßig, ruhig und regelmäßig – die Nase entspannt sich. Der Mund entspannt sich.«
    Und was ist mit dem Teil zwischen Nase und Mund, wie immer er auch heißen mag? Was ist, wenn dieser Teil starr vor Anspannung ist? Den hat sie ausgelassen.
    Es ist hoffnungslos. Ich kann das nicht. Ich wusste es ja.
    Ginny ist bei meinen Schultern angelangt. »Sie spüren, wie die Schultern sinken und sich entspannen, wie die ganze Spannung dahinschmilzt. Ihre Atmung fließt ruhig und regelmäßig, ruhig und regelmäßig. Lassen Sie allen Stress und alle Anspannung los. Und nun wandern Sie zum Brustkorb, zu den Lungen – Brust und Lungen entspannen sich. So etwas wie ein Hypnose-Gefühl gibt es nicht, nur ein Gefühl wohliger, tiefer Ruhe und Entspannung.«
    Ach ja? Warum bezahle ich dann siebzig Pfund dafür? Wenn ich mich nur entspannen müsste, könnte ich das auch zu Hause tun.
    Nein, korrigiere ich mich. Könnte ich nicht. Kann ich nicht.
    »Tiefe, wohlige Ruhe – und Entspannung. Wandern Sie zu Ihrem Bauch – der Bauch entspannt sich.«
    Septum. Nein, das ist die Scheidewand zwischen den Nasenlöchern. Ich wusste mal, wie diese kleine Einkerbung zwischen Nase und Oberlippe heißt. Philtrum – genau, so heißt es, das ist der medizinische Fachbegriff. Jetzt, wo es mir eingefallen ist, sehe ich praktisch Luke vor mir, der es triumphierend verkündet. Ein Quiz. Eine dieser Wissensfragen, die er immer direkt beantworten kann und bei denen ich immer hoffnungslos aufgeschmissen bin.
    Ich zwinge mich dazu, mich auf Ginnys leiernde Stimme zu konzentrieren. Ist sie schon bei meinen Zehen angelangt? Ich habe nicht zugehört. Sie könnte Zeit sparen, wenn sie alle Körperteile gemeinsam ansprechen würde und gleich den ganzen Körper auffordern würde, sich zu entspannen. Ich versuche, gleichmäßig zu atmen und meine Ungeduld zu zügeln.
    »Manche fühlen sich ganz leicht, fast wie eine Feder«, sagt sie gerade. »Andere spüren, wie ihre Glieder immer schwerer werden, als könnten sie sich nicht bewegen, selbst wenn sie es wollten.«
    Sie hört sich an wie die Moderatorin einer Kindersendung, sie lässt ihre Stimme »leicht« oder »schwer« werden, so wie es zu ihren Worten passt. Hat sie je probiert, etwas ausdrucksloser zu sprechen? »Wieder andere spüren eher ein Kribbeln in den Fingern. Aber alle fühlen eine wohlige, herrlich tiefe Ruhe und Entspannung.«
    Meine Finger kribbeln ziemlich stark. Das taten sie schon, bevor sie das mit dem Kribbeln erwähnte. Bedeutet das, dass ich jetzt hypnotisiert bin? Ich fühle mich nicht entspannt, aber ich bin mir vermutlich der surrenden Neurosen in meinem Kopf stärker bewusst als vorher. Es ist, als wären sie und ich gemeinsam in einer dunklen Kiste eingesperrt, einer Kiste, die sich vom Rest der Welt losgelöst hat und davonschwebt. Ist das gut so? Aber wie könnte das gut sein?
    »Und nun, während sie weiter ruhig und regelmäßig atmen, ganz ruhig und regelmäßig, stellen Sie sich bitte die schönste Treppe der Welt vor.«
    Wie bitte? Damit überfällt sie mich ohne jede Vorwarnung? Ein Dutzend erstrebenswerter Treppen drängen sich in meinen Kopf und beginnen einen heftigen Wettstreit. Vielleicht eine Wendeltreppe mit schmiedeeisernem Geländer? Oder diese offenen Treppen, die aussehen, als schwebten sie in der Luft, mit Glas- oder Stahlgeländer – schön modern, klare Linien. Andererseits auch ein bisschen seelenlos, erinnern zu sehr an ein Bürogebäude.
    »Ihre

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