Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum
Rangelei, vielleicht hat sich Ćavar gewehrt. Da unten haben sie den Alten erschossen. Zwei Kugeln, eine in die Stirn, aufgesetzter Schuss, die zweite aus vierzig, fünfzig Zentimetern Entfernung ins Gesicht.«
»Wie bei Bachmeier.«
Adamek wartete, doch Hassforther fragte nicht nach. Weshalb auch, dachte er. Sie begegneten so vielen Toten, da beschränkte man sich auf die, die unumgänglich waren.
Er sah auf die Insel hinüber, der Damm, ein großer Dom, viel Grün, dazwischen das glitzernde Wasser des Sees. Ein friedlicher Anblick.
»Wie hieß er?«
»Stjepan. Den Nachnamen kann keiner aussprechen.«
»Was wisst ihr über ihn?«
»Fünfundachtzig, Kriegsveteran, in Split geboren, war mit Tito befreundet.«
»Ihr seid ja wirklich schnell.«
Hassforther lächelte. »Fotos. Hat das halbe Haus damit beklebt. Du fängst unten im Flur in seiner Jugend an und endest im Schlafzimmer oben mit einer Geburtstagstorte zum Fünfundachtzigsten. Hat sie allein verspeist, der alte Stjepan. Hat allein gefeiert.«
Adamek dachte, dass er sich die Fotos gern angesehen hätte. Sie mochten vieles erklären in Bezug auf den Krieg, die Partisanen, Jugoslawien, den Tito-Freund Stjepan, der sich mit kroatischen Nationalisten eingelassen und sie dann doch verraten hatte.
Aber dafür war keine Zeit. Er wollte nach Brandenburg. Die Rottweiler draußen, Hassforther draußen, einer musste dafür sorgen, dass der Druck auf Jordan und Igor aufrechterhalten wurde – am besten einer, der ein zerschossenes Gesicht vor Augen hatte.
49
FREITAG, 15. OKTOBER 2010
BERLIN
Die beiden Aufkleber auf dem Heck kaum noch lesbar, LÖWE erkannte man auf dem einen, FB STUTTG auf dem anderen. Zahlreiche Beulen waren dazugekommen, der rote Lack in Strähnen abgesplittert, quer über die Fahrertür war in Schwarz das Wort FASCHO gesprüht, die Antenne nur noch ein Metallstumpf. Und doch machte der Granada nicht den Eindruck, als würde Dietrich Marx ihn hier verrotten lassen – die Reifen wirkten neu. Er schien ihn regelmäßig zu fahren.
»Sechstausend Mark, und er gehört Ihnen.«
Ehringer hob den Blick. Marx kam von einer türlosen Öffnung in der Steinruine auf das Auto zu. Eingerissene Camouflagejacke, von einem muskulösen Oberkörper gefüllt, der linke Ärmel abgeschnitten und zugenäht. Die Haare waren stoppelkurz, die Nase mächtig, die kleinen Augen tief ins Gesicht gedrückt, verschwanden beinahe zwischen Stirn- und Wangenknochen. Er sprach reinstes Berlinerisch, die Stimme drohend brummig.
»Reichsmark oder D-Mark?«, fragte Ehringer.
Marx lachte. Dann hatte er den Wagen umrundet und starrte auf ihn hinunter. »Ein Scheißkrüppel.«
» Zwei Scheißkrüppel.«
»Wenigstens kann ich noch im Stehen pissen.«
»Ich habe schon immer im Sitzen gepinkelt.«
Marx nickte. »Sozi, was?«
»Auch Liberale setzen sich.«
»Die schwulen Liberalen.«
Ehringer musste lächeln.
Jetzt sah er, dass Marx’ Augen hell waren, ein fast weiches Grau oder Grün. Er verstand, weshalb Thomas keine Angst vor diesem Mann gehabt hatte. Wenn man ihm so nahe kam, meinte man, etwas Sanftes zu spüren.
»Was haben Sie mit Ihren Händen gemacht?«
Ehringer zuckte die Achseln. »Kontakt mit einer Glasscheibe.«
Marx stieß heisere Laute aus, die nach Lachen klangen. Als er den Arm hob, um hinter sich zu deuten, krochen Runentätowierungen aus dem Jackensaum. Ein Zackenkranz, aus dessen Mitte das Handgelenk ragte. »Ich schau aus dem Fenster und denke, scheißt da einer neben mein Auto?«
»Und dann ist es bloß einer, der es kaufen will.«
»Ein Tiefergelegter. Bin ja gespannt, wie Sie damit fahren.«
»Ist nicht Ihr Problem.«
»Nur, wo kriegen Sie sechstausend Mark her?«
»Ja, das wird schwierig. Nehmen Sie auch Kuna?«
Marx lehnte sich gegen den Kotflügel, musterte ihn wachsam.
»Wir sind Freunde«, sagte Ehringer. »Thomas Ćavar und ich.«
Sie hatten sich vorgestellt, einander die Hand geschüttelt. Marx hatte gesagt, normalerweise bitte er Gäste herein, doch sei der Weg ins Wohnzimmer für Tiefergelegte nicht zu bewältigen – er habe viele Feinde und deshalb Vorsichtsmaßnahmen getroffen.
Feinde aus dem Jugoslawienkrieg?
Aus allen Kriegen.
Der Granada war ein Abschiedsgeschenk. Im September 1995 hatte Marx »den Tom« zum letzten Mal gesehen, in Bosnien, hatte ihn zum letzten Mal »rausgehauen«, er hatte Schwierigkeiten mit der Armee und musste untertauchen, das Auto konnte er da nicht mehr brauchen.
»Scheiß mich an«, sagte Marx,
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