Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum
schwarze Uniform, Totenkopf, der Slogan. In der Herzegowina hatten die neuen HOS ethnische Säuberungen durchgeführt und Gefangenenlager wie Dretelj unterhalten, wo es zu vielen Kriegsverbrechen gekommen war. Ihre Soldaten hatten laut UN -Berichten Zivilisten ermordet, vergewaltigt und gefoltert, orthodoxe Kirchen und Klöster niedergebrannt, Häuser geplündert, Dörfer zerstört.
Ziel der HOS war es gewesen, Kroatien und Bosnien in einem Staat zu vereinen, wie Dobroslav Paraga, der HOS -Gründer und Vorsitzende der Partei des Rechts, im September 1992 in einem SPIEGEL -Interview freimütig bekundet hatte.
Nun, der HVO Bosniens war nicht viel besser gewesen. Ähnliche Ziele, ähnliche Methoden, gedeckt und vertuscht von Franjo Tuđman, wie die Massaker im zentralbosnischen Lašva-Tal im April 1993 mit zweitausend ermordeten Muslimen.
»Wie hat man sich das vorzustellen? Man fuhr einfach nach Kroatien zu den HOS und bekam ein Gewehr?«
»So ungefähr. Ich hab mich ’91 in Zagreb bei der Polizei gemeldet und denen gesagt, dass ich für Kroatien kämpfen will, und sie haben mich zu den HOS geschickt.«
»Und Jordan seid ihr in Zadolje begegnet?«
Marx warf ihm einen Blick zu. »Woher weißt du von Zadolje?«
Ehringer kürzte ab: »Von Milo, dem Bruder.«
»In Zadolje, ja. Der Tom war im Arsch, der Krieg hat ihn kaputtgemacht, aber heim wollte er nicht, was soll ich da, hat er gesagt. Er wollte mit mir nach Bosnien, es war ja noch nicht vorbei. Jordan und einer von den Polizisten haben in Zadolje aufgeräumt, da ist der Tom durchgedreht. Hat was von Anzeige und Kriegsgericht gefaselt, der Idiot, also haben sie ihn festgesetzt.«
»Und du hast ihn befreit.«
Marx zuckte die Achseln. »Sie hätten ihn erschossen.«
Sie fuhren im Norden auf den Berliner Ring, bei Leegebruch im dichten Verkehr auf die B96, Marx wollte über Land, da sei die Gefahr, »der Staatsmacht« zu begegnen, geringer als auf der Autobahn. Sie passierten Oranienburg, verließen die Bundesstraße in Richtung Westen, um den Berufsverkehr und neugierige Blicke auf den Granada und dessen doch auffälligen Fahrer zu meiden. Die Straße führte entlang der Beetzer Heide nach Norden, keine fünfzehn Kilometer Luftlinie von Linum entfernt, wo Ehringer und der Neffe drei Tage zuvor die Kraniche beobachtet hatten.
Im Wald hinter Beetz kamen sie auf das unvermeidliche Thema zu sprechen: fehlende beziehungsweise abgestorbene Körperteile.
Dietrich hatte den Arm im Irak gelassen, wo er im Auftrag einer amerikanischen Firma gekämpft hatte, 2003, hing in Fetzen an ihm dran, sah unschön aus, so einen Arm wollte er nicht mehr; er grinste.
Und die Beene?
Die Beine, dachte Ehringer und schluckte. Waren doch so unwesentlich, wenn man bedachte, dass Margaret in denselben Sekunden das Leben verloren hatte.
»Meine Frau und ich …«, begann er und brach ab. Er starrte auf die vorübergleitenden Bäume, sah hell erleuchtete Räume, brüchige Schemen, Ivica Marković’ Abschied aus Deutschland am 24. Januar 1992, Ich bitte Sie, Herr Dr. Ehringer, erweisen Sie mir die Ehre, kommen Sie auf einen Sprung vorbei …
Er hatte allein gehen wollen, war überzeugt gewesen, dass Margaret, die das Haus seit Wochen nicht verlassen hatte, keinesfalls eine Party besuchen würde, auf der das politische und mediale Bonn zugegen wären, dazu freudetrunkene Kroaten, die die neun Tage zuvor in Kraft getretene Anerkennung durch die EG feiern würden. All die Freunde und Feinde, die ihren Untergang mitverfolgt hatten. Er hatte sich getäuscht, das wollte sie sich nicht entgehen lassen, ein letztes Mal unserem Freund Marković die Leviten lesen, bevor er das Reich des großen Tuđman tausendjährig macht.
Schatz, um Himmels willen …
Sie lachte und winkte ab, er müsse sich keine Sorgen um seine Reputation machen.
Also fuhren sie zusammen nach Meckenheim, zwanzig Kilometer südwestlich von Bonn gelegen. Marković, der so große Stücke auf Margaret hielt, erkannte sie beinahe nicht. Er reagierte großartig. Wie sehr ich mich freue, Sie noch einmal wiederzusehen, Frau Dr. Ehringer!, sagte er und küsste ihr die Hand.
Ehringer wich nicht von ihrer Seite. Irgendwann begann er zu trinken, um der Unruhe Herr zu werden.
Auch Friedrich Kusserow war da, auch er verhielt sich vorbildlich – er ließ sich nicht provozieren.
Ich erkläre Ihnen mal, weshalb ich verstehe, dass sich die Krajina-Serben für autonom erklärt haben, nachdem das kroatische Parlament 1990 die
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