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Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Titel: Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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Ratzeburg?«
    »Sie waren weg, als wir kamen. Wann passt es dir?«
    »Habt ihr denn wenigstens eine Spur?«
    »Erzähle ich dir, wenn wir uns sehen.«
    Ehringer erfand Lügen, er sei bei einem Freund, später beim Arzt, die Wunden an einer Hand hätten sich entzündet. »Nicht deine Schuld, Lorenz, du hast getan, was du konntest.« Er sah Marx an, der das nächste Bier öffnete, die nächste Zigarette drehte. »Ihr glaubt, dass sie nach Berlin kommen?«
    Er hörte den Neffen seufzen. »Rheinsberg. Aber wir sind nicht sicher.«
    »Habt ihr einen Namen?«
    Marx hatte die Zigarette angezündet, ließ Rauch aus dem Mund aufsteigen, die hellen Augen lagen auf Ehringer. Das Gespräch hatte ihn zu interessieren begonnen.
    »Mate Sjelo. Aber auch das ist nicht sicher.«
    »Mate Sjelo«, wiederholte Ehringer.
    Keine Reaktion bei Marx.
    »Ein Freund von diesem Saša? Wie hieß er noch mal?«
    »Sascha Jordan.«
    »Saša Jordan«, sagte Ehringer.
    Marx stand plötzlich, eine Pistole in der Hand, und Ehringer verfolgte gebannt, wie sich der Lauf hob, bis die Mündung auf seine Brust zeigte.
    »Ich melde mich«, sagte er und unterbrach die Verbindung.
    »Was geht hier ab, du Scheißkrüppel?«, zischte Marx.
    Und Ehringer erzählte.
    Marx war in der Ruine verschwunden, erschien nach zwei Minuten in Kampfstiefeln, einen Rucksack über der Schulter, ein Gewehr in der Hand, dazu eine völlig verstaubte Einsatzweste mit zahllosen prall gefüllten Taschen. Er öffnete die Heckklappe des Granada, legte in einer Staubwolke Rucksack, Gewehr, Weste auf die Ladefläche.
    Schweigend verfolgte Ehringer die Vorbereitungen.
    Was für eine verrückte Idee. Natürlich, seine Idee. Marx war nur der Vollstrecker. Der vorhersehbare Reflex der Söldnerloyalität.
    Vielleicht auch mehr. Einmal noch in den Krieg ziehen, als Krüppel an die glorreichen Zeiten anknüpfen, in denen der Körper unversehrt war und man sich uneingeschränkt bewegen konnte … In denen man frei war zu handeln, wie man wollte.
    Das schlechte Gewissen und die Aufregung raubten ihm den Atem. Er dachte an seinen Neffen, dem er ins Handwerk pfuschte, an Marx, der sich womöglich in Lebensgefahr begab, damit er , Ehringer, noch einmal in diesem Leben das Gefühl auskosten konnte, frei zu sein.
    Marx schloss die Heckklappe.
    »Du musst das nicht tun«, sagte Ehringer heiser.
    »Ich brauch mal wieder Krieg.« Die hellen Augen leuchteten, und Ehringer begriff, dass es Marx genauso ging wie ihm.
    »Ich komme mit«, sagte er.
    Schweigend fuhren sie durch Friedrichshain, der Granada tuckernd wie ein Fischerboot. Einhundertachtzigtausend Kilometer auf dem Tacho, Armaturen und Sitze verschmutzt, die Luft kaum erträglich, eine Mischung aus uraltem Stoff, kaltem Rauch, Bier und … Lavendel? Keine Sorge, hatte Marx gesagt, um Motor und Reifen kümmere er sich regelmäßig. Ehringer hatte das Lächeln nicht gleich verstanden – bei Ford-Werkstätten kamen wohl gelegentlich Teile abhanden.
    Kannst du allein einsteigen?
    Nein, natürlich nicht.
    Sicher, wenn du dich mit den Händen reinziehst …
    Könntest du mich bitte hochheben?
    Marx hatte die Berührung sichtlich gescheut, zwei Männer, deren Körper sich aneinanderpressten, nun ja. Ehringer hatte gesagt, im Krieg habe er sicher viele Verwundete aus der Gefahrenzone geborgen, Marx hatte genickt, so ging es. Einhändig hatte er Ehringer auf den Beifahrersitz gewuchtet.
    Seltsame Sekunden am Hals eines Söldners, der im Laufe seines Lebens Dutzende Menschen getötet haben musste.
    »Erzähl von Saša Jordan«, sagte Ehringer.
    »Einer von den ganz Harten«, sagte Marx, und in seiner Stimme lag Bewunderung. War im serbischen Gefangenenlager gewesen, dann bei den HOS , später beim HVO . Hatte in der HVO -Uniform noch den HOS -Aufnäher getragen, das Ustaša-Wappen mit dem Slogan »Za dom spremni« , »Für die Heimat bereit«. Zeitweise, sagte Marx, habe auch er selbst mit den HOS gekämpft, in Kroatien wie in Bosnien, bis sie 1991 in der Kroatischen Armee beziehungsweise 1993 im HVO aufgegangen seien. »Das waren die Echten, wenn du verstehst, was ich meine.«
    »Ich verstehe.«
    »Da waren auch die Kämpfer aus Deutschland und Österreich.«
    Ehringer schauderte. Die Kroatischen Verteidigungskräfte HOS waren 1991 von der rechtsextremen Kroatischen Partei des Rechts gegründet worden und für ihre Grausamkeit bekannt gewesen. Ihre Insignien hatten an die Streitkräfte des Ustaša-Staates erinnert, ebenfalls » HOS « abgekürzt –

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