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Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Titel: Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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»jetzt fällt’s mir ein, er hat von Ihnen gesprochen. Der Politiker, der ihn einundneunzig aus dem Knast geholt hat.«
    Ehringer nickte. »Grundlage unserer Freundschaft, stolz bin ich darauf nicht. Von Ihnen hat er auch erzählt.«
    »Was kann man von mir groß erzählen?«
    »Dass Sie lustig und eigentlich ganz okay seien. Dass Sie sich immer über Ihren Nachnamen beschwert hätten.«
    Marx lachte, und Ehringer meinte zu erkennen, dass er ein wenig gerührt war.
    »Ja, ich und der Tom, wir waren ein Team, beim Fußball und im Krieg. Beim Fußball war er nicht schlecht, aber für den Krieg war er nicht gemacht, er wollte ein bisschen durch den Wald kriechen und hinter Serben herrennen und rumballern und Kroate sein, aber töten wollte er eigentlich nicht. Beim ersten Mal, Herbst einundneunzig in Slawonien, hat er keinen einzigen Schuss abgegeben.« Marx setzte sich auf den Boden, lehnte sich ans Auto. Er zog Tabak aus der Brusttasche und begann, mit der verbliebenen Hand zu drehen. »Ich hab gesagt, Scheiße, du bist ein Mann, du hast eine Waffe, und da drüben stehen stinkende Bauernkommunisten, die dir dein Land weggenommen haben, deine Schwestern vergewaltigen und deine Brüder aufschlitzen, worauf wartest du? Auch eine?«
    »Nein, danke.«
    Marx stieß würzigen Rauch aus. »Also hab ich die Bauernkommunisten weggeblasen und mir gedacht, ich passe ein bisschen auf den auf, der kriegt sonst gleich eine Kugel in den Kopf, wär schade um ihn, er ist nett. Hab ihn zum Mann gemacht, wenn Sie wissen, was ich meine.«
    »Sie haben ihm das Töten beigebracht.«
    »Das Schießen, das Verstecken, wann du besser abhaust, wann du vorrückst, auch das Töten, klar. Am Ende war er auf Distanz ganz gut mit dem Gewehr, aber es hat ihm nicht viel geholfen, er hat sich immer wieder in die Scheiße geritten. Einmal will er einem verwundeten Bolschewiken Wasser geben und bekommt fast ein Messer in den Bauch, einmal latscht er auf eine Mine und steht den halben Tag in der Gegend rum, bis ich einen Minenräumer aufgetrieben habe … Da zappelt ein Langhaariger.«
    »Wie bitte?«
    Marx nickte in Richtung Straße.
    Wilbert, winkend, die andere Hand hinter dem Rücken, über dem Kopf ragte eine dunkelbraune Schwertspitze in die Luft. Ehringer hob rasch beide Daumen, plötzlich den Tränen nahe, dieser dumme, liebe Kerl hätte sich für ihn in einen Kampf gestürzt, noch dazu in einen vollkommen aussichtslosen Kampf …
    Seit er im Rollstuhl saß, zog er herzensgute Narren um die zwanzig an, er wusste nicht, weshalb.
    Sein Zivi, erklärte er, habe ihn aus Charlottenburg hergefahren, werde sich jetzt, da keine Gefahr drohe, verabschieden.
    »Dann haben Sie ein bisschen Zeit?«
    »Alle Zeit der Welt.«
    Marx stand auf, verschwand in seiner Ruine, kam mit vier Halbliterflaschen Bier wieder, deren Hälse er sich zwischen die Finger geklemmt hatte.
    »Dietrich«, sagte er.
    »Richard«, sagte Ehringer.
    Sie stießen an.
    Marx setzte sich wieder, lachte unvermittelt auf. Die Geschichte mit den Waffen hatte auf dem halben Balkan für Heiterkeit gesorgt.
    Sie sahen sich im November 1991 wieder, wenige Tage nach dem Fall von Vukovar. Marx hatte bei »Kameraden« in Frankreich eine Verletzung auskuriert, war bis Stuttgart getrampt. Spontan hatte er Thomas angerufen, sie trafen sich auf dem Schlossplatz, Thomas in heller Aufregung wie alle Kroaten, wegen der Fernsehbilder aus der zerstörten Stadt. »Er wollte wissen, wo ich hinfahre, ich sage: Slawonien. Vukovar?, fragt er, und ich sage: vielleicht. Er sagt: Wenn du wartest, komme ich mit, wir fahren mit meinem Auto, muss nur noch Klamotten holen. So haben wir’s dann gemacht.«
    »Aber ihr seid nicht nach Vukovar.«
    Marx schüttelte den Kopf. »Keiner ging nach Vukovar, hab später gehört, die Politiker wollten es nicht. Ohne den Tom hätte ich mich reingeschlichen und ein paar serbische Dreckskerle erlegt, kleiner Dienst an der Heimat, verstehst du. Vukovar war früher deutsch, bis fünfundvierzig waren ein Drittel der Einwohner Landsleute, Donauschwaben, du wirst von ihnen gehört haben.«
    »Ja«, sagte Ehringer.
    »Eine verdammte Schande, dass Tuđman denen aus Vukovar nicht helfen wollte. Wir sind dann nach Westslawonien, da gab’s auch was zu tun.«
    Ehringer wollte nach Zadolje fragen, als sein Handy klingelte. Er entschuldigte sich, ging dran, sein Neffe. War auf dem Weg nach Berlin, wollte ihn treffen.
    »Verstehe ich nicht – Berlin?«
    »Wir haben sie verloren.«
    »Und

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