Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Titel: Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
Vom Netzwerk:
ausgeschlossen, auch aus dem Regierungs- und Verwaltungsapparat waren HDZ -Leute entfernt worden. Marković, seit 1992 im Innenministerium für die Geheimdienste zuständig, war für eine Weile von der politischen Bildfläche verschwunden. 2003, nach der erneuten Regierungsübernahme der HDZ , war er im Verteidigungsministerium wieder aufgetaucht.
    Noch immer gehörte er zu den einflussreichsten Mitgliedern der Partei, wenn er auch im Hintergrund operierte. Noch immer zog er die Strippen, beeinflusste, manipulierte.
    Seine politische Einstellung hatte sich, soweit Ehringer wusste, nicht geändert. Die junge kroatische Nation ging ihm über alles. Dass kroatische Kommandeure des Unabhängigkeitskrieges in Den Haag vor Gericht standen – und Tuđman nur deshalb nicht, weil er rechtzeitig gestorben war –, musste ihn zutiefst empören.
    Die Anklageschrift sprach von keinen geringen Verbrechen gegen die Menschheit, die im Zuge der Operation »Sturm« begangen worden seien: ethnische Säuberung durch Bedrohung, Plünderung, Zerstörung, Mord, Vertreibung. Ziel der politischen und militärischen Führung Kroatiens sei die endgültige Vertreibung aller kroatischen Serben aus der Krajina gewesen. Neben den drei Lebenden waren die vier Toten aufgeführt, die an dem »gemeinsamen kriminellen Unternehmen« von damals beteiligt gewesen seien: Präsident Franjo Tuđman, Verteidigungsminister Gojko Šušak, die Generalstabschefs Janko Bobetko und Zvonimir Červenko.
    »Sturm« war erfolgreich gewesen. Die Krajina zurückerobert, zweihunderttausend kroatische Serben geflohen.
    Auch Thomas Ćavar hatte in jenem August 1995 unter Gotovina in der Krajina gekämpft. Fünf Wochen nach »Sturm« war er in Bosnien in einen serbischen Hinterhalt geraten und ums Leben gekommen.
    Fünfzehn Jahre später rief Ivica Marković an und schickte einen Mann nach Rottweil, der Fragen stellte.
    Der Wind wehte Ehringer Regentropfen ins Gesicht. Er wendete den Rollstuhl, im Schwung glitt ihm das Telefon vom Schoß. Fast lautlos kam es auf dem Schuhabstreifer auf.
    Als er sich über die Rollstuhllehne beugte, um es aufzuheben, kam ihm ein Gedanke.
    Ein vollkommen absurder Gedanke.
    Marković war ein Geheimdienstmann und ein Überlebenskünstler. Sein wichtigstes Gut war Wissen. Er würde alles tun, um sich Wissen zu beschaffen.
    Vorsichtig legte Ehringer das Telefon in seinen Schoß.
    Und wenn er abgehört wurde?

11
    MITTWOCH, 13. OKTOBER 2010
    BERLIN
    Sie waren noch bei der Vorspeise und Karolins Buchmessenbericht, als Adameks Telefon klingelte. Eine nicht gespeicherte Nummer, die Vorwahl 0741. Düstere Ahnungen beschlichen ihn.
    »Dienstlich?«, fragte Karolin.
    Er stand auf. »Entschuldigt mich.«
    »Aber du hast keine Bereitschaft!« In ihrer Stimme hielten sich Empörung und Stolz die Waage. Er musste schmunzeln.
    »Bin gleich wieder da.«
    Er ging in den Regen hinaus, suchte Schutz im nächsten Hauseingang.
    Hocherfreut Daniela Schneider …
    Der Regen fiel schräg, der Schutz war zu schmal. Vereinzelte Tropfen sprenkelten das weiße Hemd. Adamek fröstelte, eher ein inneres als ein äußeres Empfinden. Auf dem Tisch erkalteten französische Delikatessen, die ihm plötzlich ähnlich gleichgültig waren wie der portugiesische Fisch, der ihnen folgen würde.
    Biste jetzt zum Jourmet jeworden? Der Adamek als Feinschmecker, jibt’s det?
    Mit der freien Hand rieb er sich die Augen. Zu vieles war ihm gleichgültig geworden.
    »Machen die Kollegen in Rottweil nie Dienstschluss?«
    Daniela Schneider lachte. »Ich bin daheim. Störe ich?«
    »Allerdings.«
    »Nur ein kurzer Nachtrag, dann sind Sie mich wieder los.«
    Adamek seufzte. »Du.« Er drückte sich in die Ecke zwischen Tür und Hauswand. Die Schuhe blieben dem Regen ausgeliefert, sie gefielen ihm ohnehin nicht mehr. Während er Schneider lauschte, sah er zu, wie die Tropfen das schwarze Leder malträtierten.
    Sie hatte erfahren, dass sich zwei Kroaten in Rottweil nach Thomas Ćavar erkundigten. Gezielt sprachen sie seit ein paar Tagen »Mitbürger« aus dem ehemaligen Jugoslawien an, in Geschäften, Lokalen, Friseursalons, auf Märkten, in der kroatischen katholischen Mission, im Gottesdienst. Kriegskameraden von Ćavar, sagten beide. Sie seien ihm vor Jahren in Kroatien begegnet, hätten für ein paar Wochen Einheit und Leben geteilt, bevor er nach Bosnien gegangen sei. Beide stellten ähnliche Fragen: Wann er zurückgekehrt sei. Wo und wie er gestorben sei. Ob er in Rottweil beerdigt

Weitere Kostenlose Bücher