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Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Titel: Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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wenn auch im Schneckentempo.
    Als er kurz darauf schwäbischen Boden betrat, blieben ihm drei Minuten zum Umsteigen. Er eilte den Bahnsteig hinunter, geriet in eine Gruppe Demonstranten, verhakte sich, verfluchte Stuttgart 21 samt seiner Gegner stumm. Gefangen in einer Wagenburg aus Menschen sah er zu, wie sich keine dreißig Meter vor ihm die Türen des Regionalzuges nach Rottweil schlossen.

17
    SAMSTAG, 26. JANUAR 1991
    STUTTGART
    Thomas Ćavar hielt sich abseits der Bühne und der Menge auf dem Schlossplatz. Er war nicht nach Stuttgart gekommen, um zu demonstrieren, sondern aus beruflichen Gründen: Er war jetzt Chauffeur.
    Er fuhr Josip Vrdoljak.
    Wann immer Josip zu einer seiner winterlichen Reisen zu den »Kroaten in Baden-Württemberg« aufbrach, tat er es in Thomas Ćavars rotem Ford Granada.
    Aber er ist nicht gepanzert!, hatte sein Vater eingewandt.
    Dafür unauffällig, hatte Josip erwidert.
    Er hat nicht mal Winterreifen …
    Das lässt sich ändern.
    Am nächsten Morgen hatte der Granada auf Winterrädern gestanden, bezahlt von der Partei. Auch von einem Autotelefon war gelegentlich die Rede. Für den Fall, dass Tuđman anruft. Oder Jelena, sagte Josip dann mit einem Zwinkern. Noch war es nicht so weit, ein Anruf von Tuđman schien nicht unmittelbar bevorzustehen.
    Ein Telefon für den Granada, dachte Thomas zufrieden. Das Leben wurde immer besser.
    Grundsätzlich jedenfalls.
    Im Augenblick saß er auf einem harten Treppenabsatz an der Flanke des Schlossplatzes, gähnte vor Langeweile, schlotterte vor Kälte. Die Flugblätter gegen den »neobolschewistischen und großserbischen Unrechtsstaat«, die er sich unter den Hintern geschoben hatte, brachten nicht viel. Handschuhe trug er aus Prinzip nicht, die Turnschuhe waren eingerissen und feucht. Nur am Kopf war ihm warm – Jelena hatte ihm zum Geburtstag eine Russenmütze aus Cord und Pelz genäht, die Seitenklappen schützten auch die Ohren. Wie süß du aussiehst, hatte sie gesagt, und Milo hatte salutiert und gerufen: Mein Held der Lüfte!
    Die Russenmütze war zur offiziellen Dienstkleidung geworden. Wenn er Josip fuhr, dann nur noch mit Mütze.
    Die Lautsprecher warfen eine hohe Stimme über den Platz, auf der Bühne stand eine kleine, runde Frau. Was sie sagte, war kaum zu verstehen, sie sprach zu schnell und zu leise. Josip hatte ihn der Frau vorgestellt. Ivana Kuhn von der Deutsch-kroatischen Gesellschaft.
    Oder der Kroatischen Kulturgesellschaft?
    Er ließ den Blick über die Menge gleiten. Deutsche, Slowenen, Albaner – und Tausende kroatische Emigranten. Ganz vorn sah er für einen Moment seinen Vater, er stand bei anderen HDZ -Leuten. Fünfzehntausend Teilnehmer, hatten Josips Leute geschätzt. Damit schaffen wir es in die Zeitung!
    Kaum einer der fünfzehntausend schien noch zuzuhören. Sie hatten einen kalten halbstündigen Marsch hinter sich, vom Marienplatz hierher, hatten schlecht ausgesteuerte kroatische Volkslieder gehört, einen offenen Brief an Bundeskanzler Kohl sowie mehrere Reden, eine langweiliger als die andere. Die Transparente und Fahnen hingen schlaff herab, man rauchte, unterhielt sich, trat von einem Fuß auf den anderen.
    Wartete auf Josip Vrdoljak.
    Anfang Dezember waren sie von Balingen aus, wo Josip wohnte, zu ihrer ersten gemeinsamen Dienstreise aufgebrochen: Albstatt, Rottenburg am Neckar, Herrenberg, am Spätnachmittag über Mötzingen und Horb zurück nach Balingen. Thomas fuhr langsam und umsichtig, obwohl er nervös war. Das Wort »gepanzert« ging ihm nicht aus dem Kopf. War Josip in Gefahr? Hatte ihn der jugoslawische Geheimdienst im Visier?
    Die Morde an kroatischen Emigranten in Deutschland in den siebziger und achtziger Jahren durch die UDBA hatten damals auch in Rottweil für Aufsehen gesorgt. Als Kinder waren Thomas und Milo in der Abenddämmerung über Zäune gestiegen und durch Gärten geschlichen, um Sioux-Indianer oder UDBA -Agenten zu jagen.
    Waren die Agenten nun tatsächlich nach Schwaben gekommen?
    Er behielt die Autos vor und hinter ihnen im Blick. Stiegen sie aus, blieb er dicht bei Josip. In den Wohnzimmern und Küchen der Diaspora starrte er wachsam in die fremden Gesichter.
    Lässt du bitte meinen Arm los? Oder zerrst wenigstens nicht dran rum?
    Wir sollten schnell zum Auto.
    Wir haben Zeit, Junge.
    Wenn die UDBA … Bestimmt sind Sie denen ein Dorn im Auge!
    Die UDBA hat vielleicht noch Augen, Thomas, aber sie sieht nicht mehr über die Grenzen Serbiens hinaus.
    In die Menge kam Bewegung.

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