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Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum

Titel: Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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zündete eine der dünnen Kerzen an, die von Helfern zu Tausenden verteilt worden waren, und hielt sie hoch. Die Menge tat es ihm gleich. Zahllose Flämmchen flackerten im winterlichen Grau.
    Kerzen?, hatte Thomas Stunden zuvor gefragt, als sie in der Nähe des Schlossplatzes aus dem Granada gestiegen waren.
    Wegen Weihnachten, hatte Milo gespottet.
    Josip hatte gelacht. Nein, Milo Ćavar, nicht wegen Weihnachten. Die Kerzen sollten Politiker, Medien, die Bevölkerung Deutschlands darauf aufmerksam machen, dass sich die Kroaten in derselben Situation befanden wie eineinhalb Jahre zuvor die Menschen in der DDR : Sie sehnten sich nach Freiheit und Demokratie, aber sie wurden von einem kommunistischen Regime unterdrückt.
    Es gibt einen Unterschied, hatte Milo gesagt. Die Kroaten bewaffnen sich. Eure Revolution wird nicht friedlich bleiben.
    Eure Revolution ? Die Kroaten ?, hatte ihr Vater gerufen. Du bist in Osijek geboren, Milo!
    Und Deutscher geworden.
    Josip hatte in die Hände geklatscht und gesagt: Na, dann hilf der Revolution wenigstens beim Tragen.
    Sie hatten gelacht, alle vier, zusammen Kartons voller Flugblätter zur Bühne geschleppt, wo Josip in diesem Moment die heruntergebrannte Kerze ausblies, erneut die Arme hob und rief: »Es lebe die Heimat!«
    Da war es wieder, das Wort, und wieder schnürte es Thomas die Kehle zu.
    Bonn hatte Milo nicht bekommen, dafür Görlitz. Er wickelte den Teller aus und hielt ihn vor den Rückspiegel.
    »Sehr schön«, lobte Josip.
    »Sie wird sich freuen«, krächzte ihr Vater, heiser vom Demonstrieren.
    Sie hatten Stuttgart verlassen, befanden sich auf der Autobahn. Thomas hatte Milo neben sich, auf der Rückbank saßen Josip und ihr Vater. Vorn wurde Deutsch gesprochen, hinten Serbokroatisch. Unter den Ohrenklappen der Russenmütze klangen die Stimmen der anderen gedämpft.
    »Was schenken wir ihr, wenn sie alle Deutschlandteller hat?«, fragte Thomas.
    »Ihr könntet ein Kroatienzimmer einrichten«, schlug Josip vor.
    Im Rückspiegel sah Thomas den Vater nicken. »Das sollten wir sowieso tun. Am Tag der Unabhängigkeit.«
    Milo stöhnte. »Sie hat über vierhundert Teller, reicht das nicht? Ich träume schon von ihnen.«
    »Du träumst von Mamas Tellern?«, fragte Thomas.
    »Von Mamas Tellern und Jelenas Titten.«
    Grinsend schlug Thomas ihm die flache Hand aufs Bein, kassierte einen Hieb gegen den Oberarm. Dem Granada machte es nichts, ruhig und gleichmütig bewegte er sich in Richtung Südwesten, der Motor schnurrte im immergleichen Ton.
    »Apropos«, sagte er. »Um Mitternacht.«
    Sie wechselten einen Blick. Milo nickte.
    »Hat jemand Zigaretten?«, fragte ihr Vater.
    Milo reichte die Schachtel herum, die vorderen Fenster wurden einen Spalt geöffnet, sie rauchten schweigend.
    Wenn er um Mitternacht in den Stadtgraben ging, war Milo immer dabei. Viel brachte es nicht, Milo wurde von Jahr zu Jahr träger und langsamer. Hatte er den Gegner einmal auf dem Boden, gewann er – er musste sich nur mit ganzem Gewicht auf ihn setzen oder legen. Doch die Ustaschen waren flinker, und meistens unterlag er, obwohl er ein paar Jahre älter war als sie. Dobro, keuchte er dann und hob die Hände, ist gut . Die Ustaschen klopften ihm auf die Schulter, und wenn sie auseinandergingen, verabschiedeten sie sich von ihm. Thomas spuckten sie vor die Füße, seinem Bruder reichten sie die Hand. Sie selbst waren hier geboren worden, in der Fremde, Milo aber dort – in der Heimat.
    Thomas schnippte die Zigarette aus dem Fensterschlitz. Draußen war es fast dunkel. Grauschwarze Schneewolken hingen tief über dem Land. Die Dörfer und Höfe waren schon nicht mehr zu erkennen, der Schwarzwald mit dem Himmel verschmolzen. Er hätte sich blind zurechtgefunden, zu Fuß, mit dem Rad, dem Auto. Er kannte jeden Quadratmeter entlang des Neckars zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb, von Stuttgart hinunter zum Bodensee.
    Ein Gefühl wie vorhin auf dem Schlossplatz löste diese Region nicht in ihm aus. Vielleicht, dachte er, war »Zuhause« nicht gleichbedeutend mit »Heimat«.
    »Nachrichten, Thomas«, sagte Josip.
    Er schaltete das Radio ein, suchte einen der SDR -Sender. Die beiden Älteren reckten die Köpfe vor, alle lauschten gespannt. Schwere Bombenangriffe der Alliierten auf Basra und die irakischen Truppen, irakische Raketen auf Israel und Saudi-Arabien. In Bonn eine Großdemonstration gegen den Golfkrieg, mehr als 200.000 Teilnehmer, für Washington wurden ähnliche Zahlen erwartet.
    »So

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