Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum
Russen geheiratet, sie war nicht nach Moskau gezogen. Wie Thomas Ćavar war sie im Spätsommer 1995 spurlos verschwunden.
In dieser Nacht, fünfzehn Jahre später, waren die Spuren sichtbar geworden.
Thomas Ćavar war im September 1995 mit einem bosnischen Namen nach Deutschland zurückgekehrt, als Ajdin Imamović.
Ajdin, Jelena und Ljilja Imamović, Hamburg.
Marković hatte gelacht. Der Sohn des Imam …
Ajdin, »Sonnenschein«, dachte Jordan, während er von der A7 auf die A1 in Richtung Hamburg-Zentrum fuhr. Fünfzehn Jahre lang war es Ćavar gelungen, der Vergangenheit zu entkommen. Nun hatte sie ihn eingeholt.
Tötet sie, hatte Marković gesagt.
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FREITAG, 15. OKTOBER 2010
NAHE ROTTWEIL
Lorenz Adamek starrte in runde, bersteinfarbene Augen, die ihn reglos musterten.
Molly war zurückgekehrt.
Die Dienstwaffe in der Hand stand er im Stall, hatte eben die Beleuchtung eingeschaltet. Da saß sie, grau und schmal, keine fünf Meter entfernt, und rührte sich nicht.
Sah ihn nur an.
Die Katze, die Fremde nicht mochte.
»Wartet«, sagte er zu den uniformierten Kollegen, die im Schutz des Tors standen, um ihm bei Bedarf Deckung zu geben.
Diese beiden, dazu Peter im Haus, je zwei weitere Beamte bei Milo und dem Vater, mehr waren nicht im Dienst oder abkömmlich gewesen. Noch immer lief die Fahndung, wenn auch mit reduziertem Personal. Die einen waren in die Heimdirektionen und -reviere zurückgekehrt, die anderen schliefen, darunter Schneider und Scheul, die nicht erreichbar gewesen waren.
Adamek ließ sich auf ein Knie sinken. Der Blick der Katze folgte ihm.
Als Nina am Abend zum letzten Mal im Stall nach ihr gesucht hatte, war sie nicht auffindbar gewesen. Weil du sie für immer vertrieben hast!, hatte sie vor wenigen Minuten geschrien, und Peter hatte ausgerufen: Was hast du nur mit dieser Katze?
Er, Nina und Theresa Bachmeier waren mit den Nerven am Ende. Eine halbe Stunde Warten, im Zustand der Ungewissheit, in Gefahr oder nicht, und wo war der Mägges, war er womöglich …
Bald wissen wir mehr, hatte Adamek gesagt und das stickige Schlafzimmer rasch verlassen, das Schluchzen von Mutter und Tochter mit sich tragend, hinunter ins Erdgeschoss, über den beleuchteten Vorplatz, in den Stall.
»Siehst du jemanden?«, flüsterte einer der Kollegen nervös.
»Nur die Katze«, erwiderte Adamek.
Sie traten neben ihn, die Waffe erhoben, der Kopf drehte sich nach rechts, nach links.
»Ruhig … Bleibt ruhig.«
Die Katze hatte sich nicht von der Stelle bewegt. Ihr Blick wanderte über die Kollegen, heftete sich wieder auf ihn. Bei den Kühen kam Unruhe auf. Sie bewegten sich, hoben den Schädel, ein paar standen bereits.
Adamek überlegte, wo er sich verstecken würde, wenn er die Kühe nicht stören wollte. Nur der Heuboden käme in Frage. Doch dort würde jeder, der den Stall durchsuchte, nachsehen. Die Kollegen mussten am Abend oben gewesen sein.
Egal, dachte er. Die Verdächtigen waren fort. Irgendwann in dieser Nacht hatten sie den Hof und das Tal verlassen – ohne Bachmeier.
Langsam kam er hoch. Er steckte die Waffe ins Holster und zog den Schlüsselbund aus der Tasche. Die winzige Stablampe, ein Geschenk Karolins zum Vierjährigen, warf einen hellen bläulichen Punkt auf den Boden. Er ließ den Punkt auf die Katze zuwandern, bis er sich unmittelbar vor ihren Pfoten befand.
Mit gesenktem Kopf fixierte sie das Licht. Der Punkt sprang nach rechts, nach links, die Augen kehrten zu Adamek zurück.
»Sie fängt es nicht«, sagte einer der Kollegen.
»Nein«, sagte Adamek.
Während er entlang der Frontseite auf die Katze zuging, bewegte er die Lichtmurmel über die Bodenplanken. In den knapp fingerbreiten Zwischenräumen der Bretter dicht an der Wand – dort, wo die Katze saß –, befand sich kaum Schmutz. Das Licht fiel tiefer.
Stieß auf etwas Helleres.
Adamek machte einen weiteren Schritt, dann hatte er die Katze erreicht. Er kniete nieder, schob sie sanft beiseite und richtete die Taschenlampe auf den Spalt zwischen zwei Brettern. Obwohl er mit allem rechnete, dauerte es einen Moment, bis er realisierte, was er da sah, keine dreißig Zentimeter unter sich.
Ein halb geschlossenes Auge, blutverschmierte Haut, die Stirn weggeschossen.
Die Leiche von Markus Bachmeier.
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FREITAG, 15. OKTOBER 2010
HAMBURG
Der Druck an der Stirn wurde stärker, holte ihn aus dem Schlaf. Kein Kopfschmerz, kein Finger von Lilly, kalt presste sich Metall gegen seine Haut. Die Mündung einer
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