Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum
Wohnung betreten hatten. Der Briefbogen stammte von der Staatsanwaltschaft Rottweil, ein »Dr. Rüdiger Blücher, Leitender Oberstaatsanwalt« bestätigte in drei Zeilen die Angaben Lorenz Adameks und ergänzte, dass die Ermittlungsleitung im Fall Ćavar jedoch bei der Kripo Rottweil liege, konkret bei Hauptkommissar Georg Scheul, Anfragen an die Pressestelle der Polizeidirektion Rottweil.
Mit Voris Prepaid-Handy hatte sie Adamek zurückgerufen.
Sie ließ sich auf den Schreibtischstuhl sinken, schrieb die kroatischen Wörter für »Mord« und »Entführung« auf ein Blatt Papier: Ubojstvo i otmica!!
Vori, der neben ihr stand, schrieb: tko?
»Wer wurde ermordet?«
»Ein Jugendfreund von Ćavar, Markus Bachmeier. Sagt Ihnen der Name etwas?«
»Nein.«
»Ivica Marković?«
Marković!, schrieb sie.
Vori nickte.
»Ich habe ein paar Mal mit ihm gesprochen.«
»In welchem Zusammenhang?«
Sie erzählte von dem Foto, der Suche nach dem Namen des Kapetan, der offensichtlich ein Kriegsverbrecher gewesen sei, den Ausflüchten von Ivica Marković.
»Ein Kriegsverbrecher?«
»Richtig.«
»Sie denken an die Morde von Zadolje?«
On zna od Zadolju. Er weiß von Zadolje.
»Beweist das Foto, dass er der Täter war?«
»Nein, aber es ist ein deutliches Indiz.« Sie beschrieb es.
»Sind Sie sicher, dass dieser Mann Thomas Ćavar ist?«
»Er wurde von einem ehemaligen Armeekameraden identifiziert.«
»Mailen Sie mir das Foto.«
Sie lachte. »So gut sind wir noch nicht miteinander befreundet.«
»Thomas Ćavar lebt«, sagte Adamek. »Marković’ Leute haben ihn vergangene Nacht entführt. Jetzt sind wir Busenfreunde, oder?«
Ćavar živi!!, schrieb sie.
»Busenfreunde besuchen einander. Ich komme morgen mit einem kroatischen Kollegen nach Rottweil und bringe Ihnen das Foto mit.«
Adamek gab sich geschlagen. »Noch ein Name«, sagte er. »Allerdings nur ein Vorname – Sascha.«
Saša?, schrieb sie.
Vori schüttelte den Kopf.
»Ist mir im Zusammenhang mit Ćavar nicht begegnet.«
»Einer der beiden, die Ćavar entführt haben.«
Ahrens malte einen Pfeil neben Saša , schrieb Slavko?
»Dann bis morgen.« Adamek beendete die Verbindung.
Vori tippte mit dem Finger auf Slavko . »Ich werde es versuchen.« Er zog ihre Handtasche zu sich, legte eine kleine, matt schimmernde schwarze Pistole hinein und sagte: »Marković lässt töten , Yvonne.«
43
MITTWOCH, 26. JUNI 1991
NAHE ROTTWEIL
Der Raps strahlend gelb im Sonnenlicht, ein leichter Wind schob die Halme in Richtung Bösingen und zurück wie weite gelbe Meereswogen. Man sehe, hatte er Jelena erzählt, vom Velebit aus die Adria, die wolle er ihr eines Tages zeigen, das kroatische Meer, du und ich am Meer, wie man es aus Filmen eben kannte. Sie hatte erwidert, sie möge Tintenfisch und Shrimps, ansonsten sei ihr das Meer egal, und die Adria … Vor zwei Jahren hatten die da eine Algenpest, oder war’s eine Quallenpest, das willst du mir zeigen?
Er musste lächeln.
Jelena, manchmal so sanft, manchmal so rau.
Acht Uhr morgens, er hockte seit einer halben Stunde neben Markus oberhalb eines Feldweges am Hügel, verborgen vom Raps. Im gelben Meer unter ihnen war ein schmaler Schatten auf einem Fahrrad aufgetaucht, sonst war weit und breit niemand zu sehen. Rauchend beobachtete Thomas, wie sich der Schatten im Wind mühte. Die langen Haare flatterten, sie hatte sich aus dem Sattel erhoben, die Beine kämpften.
Mittwoch, ihr Tag bei den Großeltern in Bösingen. Meistens begleitete er sie, heute nicht.
Am Tag zuvor hatte Kroatien die Unabhängigkeit verkündet.
Wir werden feiern und trinken, es wird sicher spät, weißt du, nächste Woche wieder, sag ihnen schöne Grüße.
Jelena würde erst spätabends nach Rottweil zurückkehren. Morgen Vormittag würde er sie nach Stuttgart zur Uni bringen. Falls alles nach Plan verlief, würde sie nie erfahren, dass er fort gewesen war.
»Bitte, lass mich mitkommen«, sagte Markus.
Er schüttelte den Kopf.
»Aber vielleicht kann ich helfen!«
»Gibt nichts zu helfen, wirklich.« Er dachte an Josips Worte: Du fährst hin, gibst Michel das Geld, überwachst das Einladen, sagst den Fahrern, wo in Kroatien sie die Waffen abliefern sollen, und fährst wieder heim. Aber du musst ein bisschen aufpassen, Junge, das sind Kriminelle, vergiss das nicht. Kannst du schnell rennen?
Ich spiele doch Fußball.
Gut, dann bin ich beruhigt.
»Man soll so was nicht allein machen.«
Er sah auf Markus’ ausgestrecktes rechtes Bein
Weitere Kostenlose Bücher