Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum
hinunter, das noch zwischen Schienen steckte, die Krücken daneben. »Nur im Film nicht«, sagte er, »da geht immer alles schief. Aber das hat Josip organisiert, da geht nichts schief.«
»Rufst du mich morgen früh an?«
»Okay.«
Jelenas Kopf tanzte inmitten gelber Blüten, langsam entfernte sie sich. Fünf Minuten später hatte sie Bösingen erreicht und verschwand zwischen den Häusern, und einen dunklen Moment lang kam es Thomas so vor, als hätte er eine Welt ohne sie betreten und als wäre nicht sicher, ob er jemals in die Welt mit ihr zurückfände.
Sie stiegen den Hügel hoch und auf der anderen Seite hinunter, wo der Granada am Straßenrand wartete. Thomas verstaute den Rucksack mit dem Geld, den er zur Sicherheit bei sich getragen hatte, unter dem Beifahrersitz, zog sich die Russenmütze über, startete den Motor.
Er setzte Markus in Rottweil an der Schule ab, dann brach er zu seiner ersten großen Mission für die Heimat auf, die am Vortag ein eigener, unabhängiger Staat geworden war, ein Staat wie Deutschland, wie Italien, wie Argentinien.
Republika Hrvatska.
44
FREITAG, 15. OKTOBER 2010
ROTTWEIL
»Ach, das«, sagte der Onkel.
»Ja, das!«, brüllte Lorenz Adamek.
Waffenhandel, Waffenschmuggel. Und ein Deus ex Machina aus Bonn.
Im Sommer 1991 hatte Thomas Ćavar nach Milos Angaben bei Bautzen mehrere Hundert Kalaschnikows und Pistolen aus NVA -Beständen in Empfang genommen und versucht, sie in einem Lkw des Roten Kreuzes der DDR nach Kroatien zu schmuggeln. Auf einer Raststätte der A8 im Abschnitt München-Salzburg war die Reise zu Ende gewesen, der Grenzschutz hatte aufgepasst.
Thomas hatte nach seiner Rückkehr drei Tage in Untersuchungshaft verbracht. Drei Tage, die in keiner Rottweiler Akte verzeichnet waren. Einen Fall Thomas Ćavar gab es nicht.
»Natürlich nicht«, sagte der Onkel. »Er wurde nicht angeklagt.«
»Weil du deinen Einfluss geltend gemacht hast?«
»Richtig.«
Adamek stand im Büro des Leitenden Staatsanwalts. Sein Kopf glühte, seine Gedanken drehten sich im Kreis. »Bei einem Staatsanwalt namens Rüdiger Blücher.«
»Ich erinnere mich nicht an seinen Namen.«
»Er sitzt vor mir und windet sich.«
»Dann wird er es wohl sein.«
»Nicht zu fassen.« Adamek legte auf.
»Er hatte gute Argumente …«, sagte Blücher.
»Argumente? Er war Politiker, er hat Sie manipuliert, Mann.«
»Illegaler Waffenbesitz, Waffenschmuggel«, sagte Schneider. »Das müssen sehr gute Argumente gewesen sein.«
Blücher schwieg und wurde noch eine Spur käsiger.
»Und Sie haben Karriere gemacht.« Adamek setzte sich auf seinen Stuhl vor den Schreibtisch.
»Na ja«, sagte Schneider. »In Rottweil.«
Blücher stand kurz vor der Pensionierung, die Ozeanliner dieser Welt erwarteten ihn. Erste Klasse selbstverständlich, er war wohlhabend und sehr eitel. Hatte sich Muskeln antrainiert, das Haar schwarz gefärbt und akkurat gescheitelt. Teure Brille, soweit Adamek das beurteilen konnte, Maßanzug, Manschettenknöpfe, alles eher protzig. Ehering und Siegelring wollte man ehrfürchtig bestaunen und für die Kollegen fotografieren.
Ein kleiner Stich mit der Nadel der Wahrheit, und die Luft war schneller entwichen als bei einem aufgeschlitzten Autoreifen.
Adamek war danach, noch einmal zuzustechen. Er unterließ es. Die Erkenntnis würde Blücher ohnehin nach und nach kommen. Wie zu einem hässlichen Puzzle würden sich die Gedanken, Erinnerungen, Fragen zusammensetzen. Am Ende würde er mit dem quälenden Bewusstsein aus dem Amt scheiden, dass Markus Bachmeier noch leben würde, hätte er, Blücher, Ehringers Ansinnen damals abgelehnt. Thomas Ćavar hätte keine Gelegenheit gehabt, in den Krieg zu ziehen, wenn er für ein paar Jahre im Gefängnis gesessen hätte. Er wäre nie nach Zadolje gekommen, nicht Zeuge der Morde geworden, nicht unter einem falschen Namen nach Deutschland zurückgekehrt.
Er wäre nicht entführt worden. Würde nicht in Lebensgefahr schweben.
»Man darf eines nicht vergessen …«, sagte Blücher tonlos.
Der Franzose, Michel Rivier. Teil des Abkommens mit Dr. Ehringer sei es gewesen, dass Thomas den Namen des Händlers nenne. Rivier sei dann aufgrund anderer Aussagen zu zehn Jahren verurteilt worden. Ein großer Erfolg der Behörden.
Adamek erhob sich und verließ den Raum.
Draußen rief er den Onkel wieder an.
»Hast du dich jetzt beruhigt?«, fragte Ehringer.
»Nein.«
»Mach die Ohren auf, du hörst das nur einmal.«
»Seine Frau hat ihn
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