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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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Schmierenkomödiant den Theseus übernommen hat. Adel rief mich an, war beleidigt, will seinen Namen –«
    »Dietger«, unterbrach ihn Scherfele, »Peters Beleidigtsein ist Stufe eins, seine Normalstufe. Vesely ist großartig. Ich habe immer gewusst, dass er einen Charakter hat.«
    »Charakter hat er keinen«, sagte Schönn.
    »Dann ist es ja gut«, sagte ich. »Wollt ihr euch aus meiner Garderobe verfügen?«
    Die zwei verließen den Raum, mir entschlüpfte eine Frage, die ich Scherfele in den Rücken stellte: »Ist der Fraul schon da?«
    Scherfele zuckte mit den Schultern. »Da ist er«, rief er verblüfft, denn Karel kam hereingestürzt.
    »Bin schon da«, sang er, nahm mich um die Taille und küsste mich.
    »Was denn, was denn«, sagte ich gepresst und machte mich los.
    »Hüte dich heute vor meinem Hippolyt«, sagte er und enteilte.
    Ich machte mich fertig, freute mich einerseits, dass Karel seine Depression anscheinend überwunden hatte, andererseits war er mir etwas unheimlich, und ich ertappte mich dabei, dass ich ihm auszuweichen versuchte, obwohl ich ihn begehrte. Der Tod von Karl-Heinz scheint ihm Laune gemacht zu haben. Ein Irrer. Ich spürte, dass sich in mir eine kleine Heiterkeit ausbreitete. Ich begann die Schumannträumerei zu summen. Kurz vor Beginn der Vorstellung kam Schönn nochmals an und grinste:
    »Die ulkigen Österreicher haben nun tatsächlich den kleinen Leutnant zum Präse gemacht.«
    »Ist mir doch wurst«, sagte ich.
    Dietger begleitete mich bis hinter die Bühne. Dort stand Karel breitbeinig und wieder mit verspanntem Gesicht.
    »Muss Mutter anrufen«, sagte er zu mir. Ich verstand nicht.  
    »Ausgerechnet jetzt?«
    »Wegen der Wahl. Du bist blöd.«
    »Was erlaubst du dir?« Ich wurde wütend. Karel lief fort. Zornig schaute ich Dietger Schönn an.
    »Mies fürs Land«, sagte er, »gut fürs Theater. Sehr gut sogar.« Er ging und spuckte im Vorbeigehen dem bleichen Vesely über die Schulter.
    »Eine Katastrophe«, flüsterte der mir zu.
    »Was denn, dein blöder Theseus? Spinnt ihr alle?«
    »Aber geh, Freifrau«, sagte Vesely. »Doch nicht das Theseuserl. Euch Piefkes kann es ganz powidl sein, ob wir einen Lügner zum Bundespräsidenten gewählt haben.«
    »Wäre doch nicht der einzige Lügenbold in der Politik, oder?«, sagte ich und spuckte ihm über die Schulter.
    In der nächsten gemeinsamen Spielpause fragte ich Fraul, warum er erstens so mau spiele und zweitens, ob er in Gottes Namen seine Mutter erreicht habe. Er drehte mir den Rücken zu und schwieg. Danach war sein Spiel intensiv wie immer. Nach der Vorstellung wollte er, dass ich zu ihm komme, aber ich hatte keine Lust.
     
    Rosa saß in der Küche und las in der Bovary. Edmund hatte sich hingelegt, es war ruhig und sehr still in der Hollandstraße. Rosas Gedanken wanderten aus dem Norden Frankreichs ab und kreisten wieder einmal um ihren Sohn. Er hat sich erfangen, dachte sie. Anscheinend tut ihm die Schauspielerin gut, oder ist es das Theater überhaupt, seine Liebe, seine Sucht zur Intensität? Als würde er sich all die Dichte des Lebens nehmen, während ich froh bin, wenn sich nichts ereignet.
    Rosa fand in den vielen Romanen, die sie las, jene Leben vor, die in nichts ihrem eigenen glichen. Während Emma Bovary nach einem anderen Leben lechzte, würde sie jedes andere fürchten.
    Zärtlich gestimmt neigte sie ihren Kopf, als könnte sie vom Küchenplatz aus die stillen Atemzüge von Edmund hören. Emma verachtete ihren Charles, der sie anfangs umsorgte und umhegte, dachte sie. Warum verstehen er und Karel sich nicht? Es ist sehr schwer für Edmund. Und ich immer bei Karel. Edmunds Panzer, was beklag ich den, wo er mich schützt. Und doch beklag ich ihn. Rosa stand auf, stellte sich zum Fenster und blickte in den Hinterhof. Von einer Minute zur nächsten wurde Rosa traurig, verzagt setzte sie sich wieder, griff zum Buch. Fraul stieß die Tür auf, kam in die Küche, warf einen Blick auf seine Frau, die zu ihm hochblickte, und ging auf die Toilette. Rosa erhob sich, legte das Buch aufs Fensterbrett, sah auf die Küchenuhr und begann das Abendessen herzurichten.
    Edmund las auf dem Klosett die neueste Ausgabe des Mahnrufs, schnaufte, weil ein Pfropfen den Darmausgang abschloss und auch Drücken und Pressen nicht recht half.
    Als er aus dem Bad kam, war Rosa beim Schälen und Schnipseln, er ging, nachdem er sie an der Schulter berührt hatte, ins Wohnzimmer, nahm den Erzählband »Bei uns in Auschwitz« von Borowski

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