Der Kalte
aus dem Regal, setzte sich und begann zu lesen. So verging die Zeit, während er seine Sitzstellung nicht veränderte.
Rosa trug das Essen auf, holte Besteck und Servietten, fragte ihn, was er trinken wolle, und sie aßen.
Hernach schaltete er den Fernseher ein, und sie sahen die Nachrichtensondersendung zum Wahlsieg des Doktor Wais. Edmund nahm wahr, dass Rosa blass geworden war und sich in ihrem Sessel verkleinerte.
»Komm«, sagte er daher, »gehen wir ein paar Schritte.«
»Draußen, wo die Wölfe sind?«, fragte sie mit winzigem Lächeln und holte ihren Mantel. Kaum hatte das Ehepaar die Wohnung verlassen und war die Hollandstraße in Richtung Karmelitermarkt gegangen, Rosa hatte sich bei Edmund eingehängt wie früher, läutete in ihrer Wohnung das Telefon.
Katz und Hirschfeld standen im Pick Up an der ersten Bar und schauten ins Fernsehgerät, das der Besitzer wegen des heutigen Wahltages und für künftige Fußballübertragungen hoch über den Köpfen der Thekensteher angebracht hatte. Emanuel war nicht ganz bei der Sache, er sah den hinter ihnen vorübergehenden Frauen nach, sodass Hirschfeld seinen Redefluss, der seit Bekanntgabe des vorläufigen Endergebnisses sich aus seinem Mund ergoss, unterbrechen musste, um gleichfalls der jeweiligen Frau hinterherzuschauen.
»Hör mir doch zu«, fuhr er aufgebracht Katz an, nachdem er in schneller Folge zwei Viertel Rot geleert hatte.
»Das Schönste am Vorsommer ist«, antwortete Katz, »dass man von den Mädls endlich wieder etwas sieht.« Er wandte sich lächelnd Hirschfeld zu. »Mach nur weiter mit deinen Tiraden über den hereinbrechenden Faschismus, den die Schwarzen durch ihre Antisemitenkampagne jetzt wohl losgetreten haben. Ich bin der richtige Zuhörer, gelt?«
Hirschfeld fuhr sich wütend durch die Haare.
»Durch Verspottung und Übertreibung wird die Sache nicht besser.«
»Oho«, machte Katz, »was hast du denn? Die Österreicher wählten, wen sie wollten. Die Mehrheit wählte eben sich selbst, so wie sie sind, wie sie mit sich umgehen. Provinziell, aber arrogant, larmoyant, aber robust wie deutsche Eichen.«
»Deutsche Eichen«, sagte Hirschfeld und verzog den Mund. »Das ist eine Wende in diesem Land. Sie wählen einen in Naziverbrechen verwickelten Opportunisten, der sich durch Vergangenheit und Gegenwart schwindelt …«
»Und wir? Sind wir nicht auch schuld, dass die so entschieden haben? Wozu hat der Tschonkovits mit dem Maxmann gemauschelt? Wozu hat sich dessen Jüdischer Weltkongress eingemischt. Resultat? Trotz! Und Trotz, Paul, ist eine österreichische Kategorie des Politischen.«
»Was heißt gemauschelt. Du redest wie die. Ich sag dir was. Die ganze Naziaufklärung ist hierzulande für den Hugo, zwecklos, sinnlos. Solang einer hier nicht eigenhändig sechs Juden erwürgt hat, ist er wählbar. Es ist zum Speiben.«
Katz lachte auf. »Aber geh. Schon neunzehnsiebzig hat der Alte mit dem damaligen Chef der Freiheitlichen gepackelt, der von seiner SS -Mordbrigade immer grad dann auf Urlaub war, wenn die in Russland ihrer Tätigkeit nachging. Gar nichts Neues im Operettenland. Nimms künstlerisch, Paul. Schreib ein paar antinazistische Gedichte, engagiere dich im Club Diderot und zeig, dass du ein anderer Österreicher bist. Pfah, die hat einen Arsch. Es ist doch alles wie sonst. Ich weiß nicht, warum wir Juden uns nun besonders echauffieren müssen.«
»Was heißt ›wir Juden‹? Du bist ein elendiglicher Judeozentrist, Emanuel.«
»Und ein Hinternzentrist.«
»Und ein Frauenarschzentrist, meinetwegen. Aber du hast recht, auch wenn du nur spöttelst. Ich werde mich tatsächlich in den Club Diderot begeben und was machen. Der Samueli hat mich schon ein paar Mal darauf angesprochen.«
»Und schon setzt sich die masochistische Internationale in
Bewegung«, sagte Emanuel. »Wai, wai geschrien, weil das österreichische Bundesvolk mehrheitlich einen der Ihren zum Präsidenten gewählt hat.«
»Ich habe begriffen, dass ich nicht da hergehöre. Spätestens heute habe ichs begriffen.«
»Na was jetzt? Mit dem Anderen Österreich kämpfen gegen die Waiswäscher, oder ab nach Israel, he?«
»Beides, du Schlaubauch. Am liebsten beides.« Sie lachten. Nachdem Hirschfeld sich noch ein letztes Vierterl bestellt und davon genippt hatte, murmelte er. »Was soll ich als Dichter im Hebräischen?«
»Bleibt Hamburg«, sagte Katz. »Vis-à-vis von deinem Verlag, immer den Lektor im Auge, wenn du in der Früh dein Fenster
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