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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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aufmachst.«
    Hirschfeld nickte, trank den Wein aus, gab Katz einen Fünfziger und verließ das Pick Up. Daheim trank er einen halben Liter Wasser, setzte sich an seinen Schreibtisch und schrieb, ohne abzusetzen, einen Text, der mit den Worten begann: Politiker kommen und gehen, die Frauenärsche bleiben. Nach eineinhalb Seiten stutzte er, las das Geschriebene durch, zerriss es und ging schlafen.
    32.
    Es war ruhig in der Parteizentrale der Sozialdemokraten. Die meisten Funktionäre waren bereits seit dem frühen Nachmittag hier versammelt, gaben Anweisungen, standen herum, manche genehmigten sich einen aus dem Flachmann, halb heimlich, denn allen war klar, dass sie heute kein Siegesfest feiern würden. Es kam allein noch darauf an, möglichst knapp zu verlieren, um nicht das Gefühl zu bekommen, untergegangen zu sein. Tschonkkovits war noch
nicht da, er harrte im Bundeskanzleramt aus. Er mochte weder bei Marits im Burgenland mit ihm wählen gehen und die Stimmabgabe des Kanzlers fernsehmäßig arrangieren noch danach bei ihm daheim sitzen und in sein saures Gesicht schauen. In der eigenen Wohnung, wo er in den nächsten Wochen noch genug herumsitzen würde, litt es Tschonkovits auch nicht. Ihm war klar, dass ihn die Niederlage den Job kostete, egal, ob Marits im Amt blieb oder, wie er Johannes bereits zugeraunt hatte, zurücktreten werde, und zwar mit bitterer Freude. Der Tag war schön. Tschonkovits wollte sich aber nicht auf seiner Parkbank niederlassen und zwischen Fiakern und Touristen neue Gedanken und Ideen empfangen, denn die besten und kühnsten würden ihm nichts nützen, wenn am Abend der dämliche Wais seinen Wahlerfolg einfahren würde. Ja, so hat es mir heute der ebenso dämliche Novacek durchs Telefon geflüstert, dachte Tschonkovits: einfahren. Wir werden den Wahlerfolg, du aber wirst als Person großartig einfahren. Wie ein Stinkmolch über einen frischen Wurm freute sich der Idiot. Stattdessen saß Johannes auf der Kante seines Schreibtisches, oder er stand am Fenster, telefonierte mit Marits, der sein Kommen in die Zentrale für sechs ankündigte. Johannes versprach ihm, vorher dort zu sein. Um vier ging er wählen, setzte sich dann ins Café Raimund und schaute gleichgültig abwechselnd in die Zeitungen vom Samstag und auf die Fassade des Volkstheaters.
    In die Löwelstraße kam gegen fünf der Zentralsekretär, dessen Schnurrbart angeknabbert aussah und ihm herunterhing. Dermaßen traurig gab dieses Gesicht die Stimmung der ganzen Partei wieder. Aufgefallen war den herumlungernden Journalisten, dass Finanzminister Friedrich Habitzl zeitig in der Zentrale erschienen war. Mit ihm kam sein frischgebackener Kabinettchef Wendelin Katzenbei
ßer. Die beiden stellten sich in eine Ecke. Nach der ersten Hochrechnung war auch das schwächste Lächeln in dem einen oder anderen Gesicht der Mannschaft verschwunden. Der Bürgermeister traf ein, nickte im Saal nach allen Seiten und ging ostentativ auf Habitzl zu, schüttelte ihm stumm die Hand und schlug Katzenbeißer auf den Oberarm. Bei der Tür stieß schließlich Tschonkovits mit der Kulturstadträtin Ebner zusammen, gemeinsam betraten sie die Szene, um sich sofort in verschiedene Richtungen fortzubewegen. Tschonkovits bemerkte, dass zwischen ihm und den anderen Genossen ausreichend Luft vorhanden war. Als der Bundeskanzler mehr hereinschlich als hereintrat, wollte Johannes applaudieren, überlegte es sich, verschränkte die Arme und lächelte dem Kanzler entgegen, der ohne Zögern auf ihn zusteuerte. Katzenbeißer klatschte mehrmals in die Hände, sodass sich daraus doch noch ein moderater Applaus zum Empfang des Kanzlers einstellte. Marits verweigerte jedes Interview. Einige Journalisten begannen bei den unteren Chargen deren Befindlichkeiten einzufangen.
    Marits verschwand mit Tschonkovits im Nebenraum. Um halb acht nach dem vorläufigen Endergebnis sollte er gemeinsam mit Paul Neuner im Fernsehstudio auftreten. Die Limousine wurde schon jetzt bereitgestellt.
    »Bleib da«, sagte Marits zu Tschonkovits.
    »Was soll ich hier?«
    »Es ist besser, du begleitest mich nicht ins Studio.«
    »Bloß bis vor das Studio?«
    »Auch nicht. Paul und ich gehen allein.«
    »Nur ihr beide?«
    Marits antwortete nicht.
     
    Die Volkspartei erwartete den Wahlausgang nicht in ihrer Parteizentrale, sondern im Palais Pallavicini, denn damit wollte sie signalisieren, dass Wais der Präsident aller Österreicher sein werde. Der ließ sich Zeit, verharrte so lang wie möglich

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