Der Kalte
erfuhr auch erst aus dem Radio, dass der Standort des Mahnmals nun unwiderruflich festgelegt worden war. Jetzt holen sie zum Gegenschlag aus, dachte er, aber sollen sie. Er ging zu seinem Sakko, holte den Kalender hervor, suchte die Nummer vom Wissenschaftsminister. Theodor Gall hatte sich ablehnend zum Standort Philipphofgründe geäußert, er war es, der vor allem die Störung der Totenruhe ins Spiel gebracht hatte. Die Bombentoten vom Philipphof, die unter den Trümmern vergraben waren und nie begraben wurden, hätten Anspruch auf Respekt und Würde. Novacek vereinbarte einen Dringendtermin mit Gall, der empfing ihn sofort. Novacek erläuterte ihm
die politische Relevanz, die durch diesen Justamentstandpunkt der Sozis Platz griff. Gall hörte aufmerksam zu, hielt von den Ausführungen des Pressefritzen aber gar nichts. Dennoch versprach er, seine Argumente gegen den Standort zu wiederholen und zu vertiefen. Er werde erstmals den Morzinplatz als Standort vorschlagen, wo ohnedies einst das Haus der Gestapo gestanden war, welches ebenso wie der Philipphof weggebombt worden war. Novacek fügte hinzu, es befände sich dort eh schon eine Gedenktafel, da passe das Mahnmal perfekt dazu. Auch diesen Gedanken fand Gall unangebracht, nickte zustimmend, und Novacek wurde entlassen.
Bei der Nachmittagsbesprechung fragte Novacek den Präsidenten, ob er Kenntnis von der Erklärung des Purr von heute Morgen habe. Wais nickte. Da er sich dazu aber nicht weiter äußerte, ließ auch Novacek die Sache auf sich beruhen. Er wollte in sein Büro hinübergehen, da sagte Johann Wais unversehens:
»Findest du nicht, dass der Standort für das Mahnmal vor der Albertina gut gewählt ist?«
Novacek setzte sich wieder und brachte nun die Argumente dagegen vor, auch sprach er von einem Gegenschlag des anderen Lagers. Doch er konnte Wais damit nicht überzeugen.
In seinem Zimmer angekommen, dachte Novacek, dass es vielleicht gar nicht so schlecht wäre, wenn Wais durchaus für den Albertinaplatz war. Er würde sich öffentlich nicht dazu äußern, aber man könnte es ins Spiel bringen und damit den Gegnern ein bissl Wind aus den Segeln nehmen. Nun trat er nochmals mit Professor Gall in Verbindung und bat ihn, den Präsidenten in dieser Sache aus dem Spiel zu lassen.
»Ich hatte nicht vor, den Herrn Bundespräsidenten in diese
Angelegenheit hineinzuziehen«, sagte Gall ins Telefon und legte auf.
40.
Wie ein großer aufgeblasener Ballon, leicht und dennoch lastend, lagerte jeder Tag nun auf Edmund Frauls Brust, wenn er immer zeitiger am Morgen aufwachte. Seit er verschiedene Tätigkeiten in Bezug auf die Welt der Konzentrationslager sukzessive eingestellt hatte, teils weil er ihrer auf bittere Weise müde geworden war, teils weil die Mitarbeiter verstorben oder zu krank geworden waren, teils aber auch weil sein Lehr- und Mitteilbedürfnis an die junge Generation abzunehmen schien, blies sich die Zeit vor ihm auf und stand weiß und leer vor ihm. Das bedrückte ihn, denn sein Pflichtgefühl gegenüber all dem Vergangenen hatte sich nicht verringert.
In seiner Ehe hatte sich seit dem diesjährigen Sommer eine neue Gewohnheit entwickelt: Sie frühstückten wieder miteinander und gingen gemeinsam aus dem Haus. Bis zum Café Korb war ihr Weg derselbe, in den Tuchlauben zweigte Fraul dorthin ab, während Rosa über den Petersplatz zum Graben weiterging und kurz vor zehn in der Buchhandlung erschien. Zumeist erfolgte dieser morgendliche Weg schweigend, manchmal zeigte Rosa auf die Tauben, wenn diese vor der Ruprechtskirche plötzlich aufflogen. Wenn sie gemeinsam die Brandstätte entlanggingen und Edmund an den Häuserzeilen hochblickte, drückte Rosa, die bei ihm eingehängt war, mit der rechten Hand kurz seinen rechten Oberarm, damit er seinen Blick wieder nach vorne richten konnte.
Er setzte sich auch heute an seinen Platz im Korb, nahm die Zeitung und den Kaffee und erwartete, ohne sich dessen
bewusst zu sein, die Dichterin Paula Grünhut, die häufig gegen halb elf hereinkam, ihn freundlich begrüßte. Heute war sie gesprächiger als sonst, sie sorgte sich um ihre Tochter, die nicht gewillt zu sein schien, die Ratschläge ihrer Mutter anzunehmen. Paula hatte sich mit dieser Tochter stark verbacken, sowie sie selber stark mit ihrer Mutter verbacken war, die mit ihr die versteckten Jahre in den hustenverbotenen illegalen Wohnungen zubringen musste. Paulas Mutter gab jahrelang Anweisungen, von deren Befolgung das Leben beider abhing, sie
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