Der Kalte
Buttersonne schien ihm ins Gesicht, der Wind trug den Geruch von Dung und Honig herüber zu ihm, der am Ufer des azurblauen Bergsees anlangte. Hinter dem See und ihre Schatten auf ihn werfend, erhoben sich schlanke und kreidewei
ße Felsen, aus deren Spalten dunkelgrünes Gebüsch herauswuchs. Das alles unter den Schäfchenwolken, die links und rechts der Sonne und von West nach Ost eilten. Schon vernahm er das Gebimmel der Leitkuh Kornelia, welche die Gruppe anführte; die Rinder kamen von feuchter Drift herunter zu den Ställen, aber davor verblieben sie noch den Resttag, schmatzten die Alm ab, und wenn er einen Juchezer ausstieß, weil das Leben so behaglich und urig war, schaute das Kuhzeug synchron zu ihm hin mit einem Blick von atemberaubender Blödigkeit.
Sie trat ihm in den Bauch, er erwachte, besah sich aus verklebten Augen das auf dem Kissen aufgefächerte Blondhaar, begann nachzusinnen, wer diese Frau wohl sei, bis es ihm einfiel. Er pfiff durch die Zähne und stellte den Radiowecker an.
Der Nachrichtensprecher verlas mit munterer Stimme, dass der Wiener Bürgermeister beschlossen hatte, das Mahnmal des Bildhauers Herbert Krieglach auf dessen ausdrücklichen Wunsch auf dem Platz vor der Albertina aufzustellen.
»Nicht so laut«, klagte die Frau neben Schönn, die nunmehr kerzengerade im Bett saß und sich beide Ohren zuhielt. Schönn winkelte die Beine an, schwenkte sie um neunzig Grad, ertastete die Hausschuhe, schlüpfte hinein, stand auf, zog sich gleichzeitig die Pyjamahose über den Hintern.
»Aus dem Bette, Henriette«, rief er der Frau zu, die keineswegs Henriette hieß, sondern Sonja und als Kellnerin im Café Hernalserhof arbeitete. Sie war am vorherigen Abend mit dem sehr gut aufgelegten Dietger, der geduldig gewartet hatte, bis sie das Lokal abschloss, zu ihm mitgegangen, schaute nun dem aus dem Zimmer Gehenden hinterher, wandte sich dem Radiowecker zu und versuchte ihn abzu
stellen. Nachdem ihr dies gelungen war, vergrub sie sich selbst unter Decke und Kopfpolster.
Soso, dachte Schönn, zog die Toilettenspülung und ging ins Bad, das Steinebekloppmonster hat sich also durchgesetzt. Jetzt kippen sie der süßen Weanerstadt einen riesigen Marmorklotz ins Zentrum.
»Dat gibt ein Gejaule, Sonja«, rief er ins Schlafzimmer hinein.
Judith Zischka klopfte bei Klingler an, wartete nicht ab, bis der Chef »Herein« sagte, und legte ihm einen Artikel auf den Schreibtisch, den sie in der letzten halben Stunde heruntergeklopft hatte.
»Muss das sein?«, fragte Klingler, tunkte das Kipferl in den Kaffee, biss ab und begann zu lesen.
»Nein«, sagte er dann, »so nicht. Was soll das mit einer Gegenoffensive der Waisgegner? Den Auftrag zum Denkmal gibts seit Jahren, der Standort hat mit dem Wais so viel zu tun wie –« Er brach ab, denn wieder einmal fiel ihm kein passender Vergleich ein. Er liebte Vergleiche und versuchte ständig, welche anzubringen. Er war spottbekannt in seiner Zeitung damit, weil er zumeist scheiterte.
»Es kommt zum richtigen Zeitpunkt«, entgegnete Zischka. »Auch wenn unbeabsichtigt, wirkt es wie eine Gegenoffensive, und so ist es auch eine.«
»Raushalten im Artikel, was immer du sonst und privat machst. Ich weiß eh, dass du bei dem Diderotclub bist. Mach dich auf und interview den Purr. Das da«, und Klingler wies auf das Papier, »nimm als Umrahmung.«
Er griff mit einer Hand zum Telefonhörer, während er mit der anderen Zischkas Erwiderung abwehrte, drehte hernach die Wählscheibe, gelangte im Rathaus durch Nennung seines Namens prompt zu Purr und bat höflichst um
sofortigen Termin. Purr, der doppelt guter Laune war, denn er hatte ein sehr zärtliches Telefonat mit seiner Frau hinter sich und fand seine Erklärung zum Standort des Mahnmals deftig genug und wahrhaftig zugleich, lachte dem Klingler ins Ohr, fragte, wer ihm denn die Ehre gäbe.
»Die Zischka? Oho. Ich binde mir die Krawatte neu. Sie muss in einer halben Stunde da sein. Ich bin schon am Verschieben.«
Judith lief in ihr Zimmer zurück. Apolloner wartete dort auf sie.
»Na?«
»Später, später. Ich muss zum Purr.«
»Lippenstift.«
»Was?«
»Du hast Lippenstift auf den Zähnen.« Judith zog ihr Spiegelchen aus der Handtasche, wischte sich mit einem Taschentuch die Zähne ab, zog die Lippen nach, hielt Roman die Wange hin und enteilte. Den Artikel hatte sie auf ihrem Schreibtisch liegen gelassen. Apolloner las ihn, nickte und rief von Judiths Apparat Boaz Samueli an.
Adrian Novacek
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