Der Kalte
selbst gab nun ähnliche Anweisungen als Ezzes an ihre Tochter weiter.
»Ich schmälere damit nur das Leben von Rosalie«, sagte sie seufzend. Edmund nickte, äußerte sich aber nicht weiter dazu, denn er wusste, wie lachhaft es ist, seinen Kindern irgendetwas zu sagen.
»Wie geht es Rosa?«, fragte Paula.
»Danke«, antwortete er. An verschiedenen Tischen lasen sie in verschiedenen Zeitungen. Bisweilen zog Paula ein kleines Notizbuch hervor und schrieb unter Edmunds dezenten Blicken einige jeweils jäh abbrechende Zeilen hinein.
Rosa begrüßte Hugo Sillinger wie immer und verschwand hinter der kleinen grünen Tür. Hugo sah ihr nach, und ihm fiel auf, dass sie leicht hinkte. Wie von einer unbekannten Kraft angetrieben, erhob er sich einige Minuten später, weil er sich bei ihr erkundigen wollte, ob alles in Ordnung sei, und fand sie mit dem Kopf auf einem Ordner liegend und bewusstlos.
Als sie auf der Bahre in das Rettungsauto geschoben wurde, das am Graben vor der Buchhandlung vorgefahren war, bemerkte Sillinger ein winziges Lächeln, welches aber wie aufgestickt Rosas Mundwinkel säumte.
Drittes Kapitel
(Dennoch)
1.
Nach dem Selbstmord von Margit Keyntz war Inge Haller allmählich wieder in ihr früheres Leben zurückgekehrt. Die anfänglich noch nach außen sichtbare Trauer, die sich in ihrem Gesicht für alle Mitarbeiter auf der Station deutlich eingezeichnet hatte, wich ihrer Höflichkeitsmaske, aus der sie in gewohnter Weise auf das Wohl der Kranken sah. Die Spitalstage rannen durch sie hindurch, angetrieben von den Angst- und Krampfatemzügen ihrer Patienten, verklumpten sich in ihr durch die wenig verschiedenen Tode der Herzversehrten, wärmten sie aber auch, wenn die Bettlägrigen aufkamen und genasen. So gings hin.
Guido Messerschmidt, der ebenso wie sie und doch auf ganz andere Weise das Hinscheiden von Margit nicht recht zu verwinden vermochte, war nun häufig an Inges Seite zu finden. Man sah sie unten beim Buffet gelegentlich Kaffee trinken. So auch, als Rosa wiederum ins Rudolfspital zur Notaufnahme verbracht wurde. Inges Piepserl meldete sich, und sie erschrak, als sie Frau Fraul wiedererkannte. Es durchfuhr sie, als hätte der Bleipanzer um ihr Herz einen jähen Sprung erhalten. Der ebenfalls herbeigeeilte Guido wurde vom Anblick der blass gewordenen Inge angerührt, beide beugten sich über die bewusstlose Rosa.
Es stellte sich heraus, dass Rosa einen veritablen Hinterwandinfarkt erlitten hatte. Inge blieb über ihre Arbeitszeit hinaus bei Rosa auf der Intensivstation.
Edmund war kurze Zeit nach der Einlieferung seiner Frau gekommen und saß im Vorraum, wie schon einmal neben seinem Sohn, der, aus einer Theaterprobe herausgerissen,
im Spital erschien. Edmund musterte ihn und grüßte mit mechanisch und monoton klingender Stimme. Messerschmidt, der schon längst dienstfrei hatte, betätigte sich als Bote und brachte die Einschätzungen vom Zustand Rosas, die er gleichsam aus Inges Geflüster herausgelauscht hatte, zu Edmund und Karl, nicht ohne dem unerfreulichen Geschehen, welches im Körper von Rosa ablief, einen optimistischen Ausblick zu verleihen.
Er versuchte auch, die sichtlich aus der Berufsroutine geratene Oberärztin zu beruhigen und von Rosas Bett wegzubekommen. Doch Inge Haller saß die erste Nacht nahezu unentwegt bei ihrer Patientin. Als sei sie die entfernte Verwandte, die sich nun mit Karl die Schuld an Margits Selbstmord zu teilen anhob und als Karls Obertante und jüngere Schwester der Rosa nunmehr deren Leben zu retten hatte.
Am dritten Tag, Rosas Zustand hatte sich erheblich verbessert, und sie konnte die Intensivstation verlassen, saß Edmund neben dem Bett seiner Frau und sah ihr beim Aufwachen zu.
»Edmund«, sagte sie plötzlich mit klarer Stimme. Er nickte und ergriff ihre Hand.
»Und Karel?«, fragte sie.
»War da. Kommt wieder.«
Er ließ ihre Hand los und strich ihr über die Wange. Sie schwiegen. Inge Haller, die endlich doch für ein paar Stunden heimgegangen war, kam herein. Fraul stand auf, verbeugte sich leicht. Haller gab ihm die Hand, setzte sich und begann leise auf Frau Fraul einzusprechen. Edmund hörte mit halbem Ohr zu, schließlich verließ er den Raum. Auf dem Weg zum Ausgang kam ihm Wilhelm Rosinger entgegen. Fraul blieb abrupt stehen.
»Was machen Sie da? Ihre Schwester?«
Rosinger senkte den Kopf.
»Aber nein, nicht doch. Sie haben mir doch am Telefon von Ihrer Frau – Ich dachte – Wie geht es –«
»Nett von Ihnen«,
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