Der Kalte
geschmeidiger Stimme weiter. Der Präsident schwieg. Novacek wusste, dass Wais zuhörte, doch Weber stand vom Tisch auf und stellte sich neben Wais:
»Wir sollten Sofia annehmen und selbstverständlich auch Bahrein«, sagte er und schaute wie Wais auf den Heldenplatz hinunter. Novacek blickte auf die Rücken der beiden, er spürte, wie der Magensaft in ihm hochstieg.
»Donnerwetter«, rief er, »wollen wir uns nicht hier um den Tisch setzen und die Lage analysieren? Ich habe alles dabei.«
»Lasst mich allein«, sagte Wais, ohne sich umzudrehen. »Darf ich euch bitten?«
Johannes Tschonkovits machte nicht viel Federlesens. Es war ihm klar, dass er nach der verlorenen Wahl keinen Fuß mehr auf einen sozialdemokratischen Boden bekommen würde. Katzenbeißer, der nun Kabinettchef des neuen österreichischen Bundeskanzlers war, hatte Theodor Marits unmissverständlich angedeutet, was Habitzl von Tschonkovits hielt. Zwar war Marits bloß als Bundeskanzler zurückgetreten, war Parteivorsitzender geblieben, aber
vor der Rache der Parteifunktionäre, welche Tschonkovits von oben herab und kühl traktiert hatte, konnte er den Zauberer nun nicht mehr schützen. Habitzl hielt sich zurück, er hatte genug zu tun, mit dem Image des Nadelstreifsozialisten klarzukommen; zwar missbilligte er die parteiinterne Kampagne gegen Tschonkovits als Schuldigen an der Niederlage, doch für Tschonkovits einsetzen mochte er sich trotz seines vornehmen Naturells nicht. So ließ er Katzenbeißer ungehindert in der Partei herumschleichen. Der bündelte die Wut gegen den mächtigen Maritsgünstling, versachlichte sie und trug sie in dieser Form Marits vor. Ein Abschiedsessen am Neufelder See, ein tief empfundenes Bedauern von Seiten Theos und ein noch tieferes von dessen Frau, das war es schließlich, und nach Tafelspitz, Milchrahmstrudel endlich ein guter burgenländischer Roter, ein Schnapserl, Schulterklopfen, Schluss.
Innerhalb zweier Wochen erledigte Tschonkovits seine Belange in Wien, und nun saß er im Flieger nach New York.
»Er fliegt zu seinen Ostküstenhaberern«, schrieb Moldaschl in seiner Kolumne. »Wer weiß, was er mit den feinen Freunden dort künftig aushecken wird, um Österreich im Allgemeinen und das Staatsoberhaupt im Besonderen in Misskredit zu bringen. Er möge dort bleiben, sich und seine gut betuchten Freunde mit Zauberkunststücken unterhalten, uns aber in Frieden lassen. Wir sind ein anständiges Land mit anständiger Bevölkerung, merk er sich das!«
Tschonkovits hockte im Flugzeug neben einem dicken Herrn in der Gewandung eines orthodoxen Juden. Der Herr schwitzte stark und litt unter dem schmalen Sitz, in welchem er eingezwängt und in sich verspreizt ausharrte. Er las bei Tschonkovits in der Zeitung mit, tippte mit seinem Finger auf die Kolumne von Moldaschl.
»Der allein genügt schon, um aus Wien für immer zu verschwinden, wenn man einer ist wie ich, Sie verstehen?« Tschonkovits nickte. »Und dann noch der neue Präsident? Ein Glück, ich bin vor zwei Jahren nach Pittsburgh übersiedelt. Kennen Sie Pittsburgh? A nice town.« Tschonkovits nickte nochmals.
»Sie fragen mich, warum ich wieder in Wien war? Das werde ich Ihnen sagen.« Und der Mensch sprach und sprach, indes Tschonkovits abwechselnd nickte, einschlief, auf die Toilette ging und nickte. Endlich angekommen, bekam er noch Ratschläge und eine Visitenkarte verpasst. Mit dem Taxi fuhr er zum Chelsea Hotel. Er bat Maxmann telefonisch ins Caffè Dante. Zuvor duschte und rasierte er sich. Er betrachtete dabei sein Gesicht im Spiegel. Er entdeckte einen Zug darin, den er noch nicht kannte, und lachte freudlos sein Spiegelbild an.
Wais blieb, nachdem seine Mitarbeiter den Raum verlassen hatten, am Fenster stehen. Er hatte aus der Sakkotasche sein kleines Opernglas hervorgeholt, besah sich die Reiterdenkmäler und verglich sie unwillkürlich mit den lebenden Rössern, welche vor den Kutschen standen. Endlich war er angekommen, endlich war er am Platz, der erste Mann im Staat. Einst als junger Diplomat war er bei einer Angelobung, oder war es ein anderer Anlass, dem Bundespräsidenten Theodor Körner begegnet, der mit schmalem Gesicht, blitzblauen Augen und einem weißen Bart ihm gegenüberstand und ihm die Hand drückte. Körner war ein General des Republikanischen Schutzbundes gewesen. Der Vater von Wais war ein Vaterländischer. Umso mehr empfand es Johann bei dem Zusammentreffen mit Körner, dass ein Luftzug der Versöhnung von drüben nach
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