Der Kalte
der Albertina auf.«
»Das letzte Wörterl ist da noch nicht gesprochen«, antwortete der ältere Herausgeber. »Und zusätzlich scheißt der Piefke Schönn auf Österreich. Dreistester Missbrauch des Burgtheaters!« Heinrich Fichtel zeigte den beiden seine Handflächen. »Wir haben es mit einer unerhörten, mit einer noch nie dagewesenen kulturbolschewistischen Offensive zu tun. Die Sozis um Marits, ihre Studenten, Schüler, die Sozialistische Jugend, Teile der Gewerkschaft, besonders die Privatangestellten, das ganze Antifavorfeld. Ferner,
lassts mich ausreden, die meisten Künstler, die Schriftstellerpacklrass, also Gaspari, die Williams, Obertschatscher, die Israelitische Kultusgemeinde, leider …«
»Nicht David Lebensart«, sagte Albert »Django« Scheinotter, der jüngere Herausgeber, »der ist nicht mit von der Partie.«
»Noch nicht«, fuhr Fichtel fort. »Und wenn wir bei denen sind, der Jüdische Weltkongress, die Israeli, der ominöse Club Diderot, Kollegen wie die vom Signal und einige neualte Brüder von der … die neue sogenannte Qualitätszeitung in Lachs, wie heißt die doch gleich?«
»Die Österreicher lesen kein Hebräisch«, sagte Moldaschl. »Alsdann werden sie den Ausblick auch nicht fressen. Aber ein paar aufs Maul des Herausgebers schadet nichts. Als Künschtler hat er sich jahrelang in New York versucht, erfolglos, deswegen macht er jetzt hier so ein Wall-Street-Blattl auf, oder wie sehen wir das?«
Die Herausgeber lachten. Fichtel winkte ab:
»So gehts nicht weiter.« Er stand auf. »Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Demnächst wird sich was tun im heiligen Land Tirol. Beim Parteitag der Freiheitlichen wird es rund gehen!«
»Du meinst, die sägen den Strahammer ab?«, fragte Scheinotter. »Du hörst das Gras wachsen, ja?«
»Jupp Toplitzer?«, sagte Moldaschl und erhob sich ebenfalls.
»Setz dich wieder.«
Fichtel hatte es nicht gern, wenn sich wer neben ihn stellte.
»Fassen wir die österreichischen Werte zusammen: Wir selber, große Teile der Schwarzen, Toplitzer, fast der ganze Klerus, und mit dir, Martin, das österreichische Volksempfinden. Gemmas an!«
Er ging zu seinem Schreibtisch, beugte sich hinunter, drückte den Knopf. Eine Weinflasche und Mineralwasser wurden gebracht, einige Mitarbeiter erschienen im Gefolge, alle bekamen sie ihr Glas Wein eingeschenkt, bloß Martin Moldaschl trank Wasser.
Moldaschl ging in sein Zimmer zurück, umrundete seinen Schreibtisch, nahm sich den Mantel und fuhr heim. Er machte sich sein Essen, setzte sich vor den Fernseher und schlief ein. Und wieder marschierte er in Russland ein. Wiederum lag er geduckt bei Kursk und sah zu, wie links und rechts die Kameraden zerfetzt wurden. In den Kampfpausen wurde nach Zigarettenstummeln gesucht, hastige Lungenzüge, bis an die Lippen geraucht, und wenn es wo Wodka gab, hinunter mit dem Zeug. Wiederum die Kälte, die Hitze, der Hunger. Die Brüllerei, das Gewimmer, das Schluchzen, das Schweigen in den Gräben, das Schweigen beim Rückzug, die Ruhr am Tag des Kriegsschlusses, die Wochen im Lazarett.
Moldaschl träumte seine Kriegszeit wöchentlich in stets ähnlicher Reihenfolge. Die Träume früher farbig, jetzt schwarzweiß, früher grell und laut, nun gedämpft und eindringlich. Ob vor dem Fernseher, ob auf seinem schmalen harten Bett, immer wieder kehrte er an die Front zurück.
Als er die Augen öffnete, sah er einen albernen kleinen Mann auf dem Bildschirm, der sein verschmitztes Gesicht von einer Szene in die nächste trug. Rühmann, dachte Moldaschl, stand auf und schaltete den Fernseher ab.
Nächsten Tag begann er mit seiner Kampagne gegen die linke Jagdgesellschaft.
7.
Vor Beginn der Aufführung erfuhr Karl Fraul, dass Messerschmidt nicht nur mit der unsäglichen Haller in der Vorstellung saß, sondern auch noch Stefan und dessen Mutter mitgenommen hatte. Er lugte durch den Vorhang und entdeckte sie sofort. Warum kommt Margits Bruder her? Was will er? Wird er bei meinem ersten Auftritt losbuhen, unterbricht er mich, klagt er mich an?
Karl eilte in Astrids Garderobe, warf sich in einen Sessel und schrie herum. Astrid, die ihn durch den Spiegel kommen gesehen und seine wachsende Aufregung mitbekommen hatte, zog den Kopf ein und schloss die Augen. Frauls Worte schossen um ihren Schädel, prallten vom Spiegel, von der Decke ab, und es sah aus, als ob sie Astrids Übergangsmantel, der über einen Sessel geworfen lag, bauschten. Der Nachhall der einzelnen herausgeschrienen Wort-
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