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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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und Satzteile schien dadurch, dass sich die Wörter dabei ineinander verkeilten, in ihren Ohren abwechselnd zu zwitschern und zu dröhnen. Astrid hielt sie sich zu.
    »Hör mit dem Gebrüll auf«, schrie sie schließlich. Der Inspizient klopfte an die Tür, steckte den Kopf herein.
    »Schon okay«, sagte Fraul in zurückgenommenem Ton und scheuchte den Mann fort. Kaum hatte der die Tür zugemacht, stand Fraul auf, ging zur Sitzenden hin und vergrub sein Gesicht in ihrem Schoß. Sie hatte die Hände von ihren Ohren genommen und streichelte mechanisch Frauls Haar, während er stockend losflüsterte:
    »Stefan ist in der Vorstellung. Margits Bruder. Er hasst mich. Er sitzt unten im Parkett. Mit seiner Mutter. Ich selbst hab diesem Messerschmidt Freikarten gegeben. Doch nicht für den Stefan. Ich sag ab. Mir ist eh schlecht. Ich spiel nicht. Ich hau ab.«
    Während Karl so redete, keimte in Astrid ein Gedanke auf.
    »Sei still«, sagte sie. »Warte einen Moment.« Karl richtete sich auf, blieb aber auf den Knien. Astrid erhob sich, ging im Zimmer umher und redete los:
    »Wir werden Stefan etwas zeigen, pass auf!« Astrid warf den Kopf zurück und war Phädra.
    »Nun lernst du Phädra kennen samt ihrer ganzen Raserei.
    Ich liebe. Glaube nicht, dass in dem Augenblick, in dem ich dich
 liebe,
    Ich mich selber in meinen Augen als unschuldig billige …«
    Astrid blieb vor Karl stehen. »Jetzt machst du nicht nur dein übliches ratloses Gesicht an dieser Stelle, sondern zeigst nackte Angst und dann Abscheu oder Verachtung. Das sehe ich, fahre fort und spiel es zum Keyntz hin. Wo sitzt er, sagst du?«
    »Rechts. Mehr zur Mitte.«
    »Ich spiele es so hin, während du immer verächtlicher wirst, und auch zu ihm hin:
    … unschuldig billige,
    Noch, dass meine feige Nachgiebigkeit das Gift
    Einer wahn-sinnigen Lie-be genäääährt hat, die den Verstand mir trüüübt.
    Ich bin das un-glück-selige O-pfer hiiiimmlischer Ra-che
    Und  … jetzt mache ich eine Generalpause, und du beginnst Mitleid aufkommen zu lassen, und alles in die neunte Reihe:
    Und ich verabscheue mich noch mehr, als du – mich verachtest.
    Und während ich dann weiter sabber von den Göttern als Zeugen undsoweiter, muss Stefan mich schon als Margit sehen und spüren. Du verstärkst es noch, gehst nach vorn, zuckst die Achseln oder sowas.«
    »Wir sollen schmieren?« Karl sprang auf. Während er noch
mit der Stirn runzelte, begann sich etwas in seinen Augen zu bewegen.
    »Jo, Karel. Große Schmiere. Du brauchst nix zu machen, nur mich so anzuschauen, als wäre ich die Margit, als stünde die Margit da, bedrängte dich, beschuldigte sich.«
    »Wozu soll das gut sein? Glaubst du, er –«
    »Keine Ahnung«, fiel ihm Astrid ins Wort, »schau, wie es dir dabei geht, hä?«
    »Irgendwie gefällt mir das.« Karl schlenderte auf sie zu, wollte sie küssen.
    »Lass das. Mach dich fertig, loslos, komm.« Und sie drängelte ihn zur Tür.
    Obwohl Karl Fraul knieweich in die Szene ging, hielt er sich an Astrids Anweisungen. Und von tief unten wehte ihn, als Astrid mit Altstimme »Ich liebe« dramolierte, der wehmütige Blick Margits an. Er sah hinunter ins Parkett. Jetzt ist sie als Zwilling da, dachte er. Hinter mir steht sie im Kostüm der Phädra, und dort in der neunten Reihe sitzt sie auf dem Schoß der Haller. Siehst du sie, Steff? Merkst du, wie sie war? Und der Gedanke schoss ihm in den Kopf, der automatisch das von Astrid eingeforderte Achselzucken hervorrief: Ich konnte gar nix machen gegen ihre Obsession. Außer dauernd mit ihr vögeln. Dauernd mit ihr sein. Keiner hätte das können. Nicht einmal du, du blöde Haller!
    Und während Astrid in der Mitte der Bühne die große Klage und Selbstabrechnung durchoperte, stand Fraul starr an der Rampe. Jeder Ton aus Astrids Mund bewegte sichtbar seine Seele. Mit höchster Konzentration hielt er seine Gesichtsmuskeln in Zaum, sodass er mit Mikrobewegungen seine ganze Hilflosigkeit, aber auch Unschuld herzeigte. Als Astrid schließlich mit den Worten »Dann gib mir dein Schwert, wenn schon dein Arm nicht will« hinter Fraul trat und ihn von dort in den Schritt griff, riss er sich weg, drehte
sich um, empfing noch die Worte: »Gib her« und äugte, während er den Zuschauern den Rücken zuwandte, derart auf Astrid, dass sie in diesem hilflos-verächtlichen Blick einen fahlen Schimmer aus ihrer eigenen Zukunft erschaute. Von der Magengrube her breitete sich ein Stechen aus, sodass sie sich zusammenkrümmte und zu

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