Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
Vom Netzwerk:
leiden«, maulte Capesius den Standortarzt an. »Da, kuck mal, Fraul. Deine Frau. Wieso kommt die aus Wien, versteh ich nicht.«
    Rosa mit dickem Bauch kam aus dem Waggon herausgekugelt, rappelte sich auf und schaute Fraul ins Gesicht.
    »Na«, meckerte Capesius. »Wo wirst du die hinschicken, rechts oder links? Links ist oben, nicht vergessen!«
    Wirths hob den Taktstock: »Nicht vergessen, nicht vergessen, nicht und nicht und nicht vergessen.« Rosinger trat hinter dem Rücken von Wirths hervor.
    »Der Apotheker hat zwei seiner früheren jüdischen Geliebten lächelnd ins Gas geschickt«, sagte er leise. »Das können Sie doch auch. Bei wem haben Sie die Uniform schneidern lassen? Und die Stiefel? Schauen Sie mich an. Überall Flicken. Kommisgaloschen. Mich machen sie immer zum Arsch. Warten Sie, Edmund, Victor schaut her. Ksch, ksch, nach links, Rosa. Na? Wie hab ich das tan?«
    »Und dann vergessen«, sang Wirths und dirigierte, »und dann vergessen. Und dann und dann und dann vergessen.«
    Bobby Heller zupfte Fraul am Ärmel. »Schäm dich, Bub. Ich verbiete dir, mein Grab aufzusuchen. Renegat!«
    Seine Zunge war trocken, er musste sich in einem fort räuspern, als er im Badezimmer vor dem Spiegel stand. Er sah sein entsetztes Gesicht und entsetzte sich davor. Meine beschissensten Träume hab ich derzeit, sagte er laut und bemerkte, dass seine Stimme heiser war. Ich muss tüchtig gebrüllt haben, raspelte er und schnitt eine Grimasse und noch eine. Unwillkürlich horchte er, ob nicht die Staneks vor der Tür standen.
    Im Café Korb stieß ihm der Kaffee auf. Paula Grünhut saß einige Tische entfernt und plauderte mit Paula Williams, die zwei lange Zöpfe trug. Eine Gretel, dachte Fraul und holte sich das Signal und die Süddeutsche. Er bemerkte beim Lesen, dass er nicht las, sondern bei seinem heutigen Traum verweilte. Paula Grünhut stand plötzlich vor ihm, in den Augenwinkeln sah er die Williams aus dem Café gehen.
    »Haben Sie was? Ist Ihnen nicht gut?«, fragte Grünhut.
    »Danke. Schlecht geträumt. Das ist alles.«
    »Damit müssen wir leben«, sagte Paula. »Auf Wiedersehen und alles Gute.«
    Und die Dichterin folgte der Dichterin auf den Fuß.
     
    Mittags beim Praterer besetzte er den Fensterplatz, bemerkte gar nicht, dass Vickerl ohnedies ein Reservierttaferl auf den Tisch gestellt hatte. Als er es sah, hob er die Augenbrauen.
    »Ist eh für euch«, sagte Vickerl. »Seitl?« Edmund nickte.
    Er saß eingehüllt in seinem Dunkelkegel, trank in kleinen Stücken und schaute aus der Ummantelung heraus auf die anderen Gäste, die da kamen, ihr Bier, ihren Wein tranken und wieder verschwanden. Auch der Fährmann war kurz herinnen.
    »Muss gleich wieder zurück«, schnaubte Rabindranath. »Nie hätt ich gedacht, dass mir der kleine Robert so fehlen wird. Jetzt kann ich die ganze Hackn selber machen.«
    »Findet sich denn keiner?«, fragte Vickerl und zündete sich eine Zigarette an, ließ Rabindranath ziehen, denn der war dabei, sich das Rauchen abzugewöhnen.
    »Nein, niemand.«
    Die Tür ging auf, Rosinger kam herein. Er fand sogleich Fraul und setzte sich zu ihm.
    »Vielleicht der«, sagte Vickerl. »Hat eh nichts zu tun. Schaut den ganzen Tag aus dem Fenster.«
    »Ich frag ihn bei Gelegenheit«, sagte Rabindranath und ging wieder hinunter zu seiner Überfuhr.
     
    In jener Nacht, als Edmund Fraul diesen Traum hatte, konnte Rosa nicht einschlafen. Sie lag lange da, und die Gedanken wüteten in ihrem Kopf. Sie stand auf, zog sich den Schlafrock an und setzte sich ins dunkle Fernsehzimmer.
    »Sie können auch nicht schlafen«, sagte Christine Wewer
ka. Rosa erschrak, nickte und wollte in ihr Zimmer zurückgehen.
    »Bleiben Sie doch noch ein bissl da«, sagte die Wewerka.
    Rosa setzte sich ihr gegenüber hin. Die beiden Frauen saßen eine Weile im Dunkeln. Rosa befürchtete, dass die Wewerka über ihre Herzkrankheit zu reden anfangen würde. Die Leute sprachen ständig von ihren Gebrechen. Statt von ihren Verbrechen, würde Edmund sagen. Statt die wunderschöne Rax zu genießen, die daliegt wie ein schlankes Tier mit der Heukuppe als Kopf, und dem frechen Schneeberg, der sich hinschmeißt zu seiner geliebten Rax und der doch durch ein tiefes Tal von ihr getrennt ist.
    »Schön ist die Rax«, unterbrach Rosa das Schweigen. »Man sagt, die Rax hilft immer.«
    »Ich habe mich zugrunde gerichtet«, sagte nach einer Weile Frau Wewerka in gleichgültigem Ton. »Mein Lebtag habe ich mich geplagt. Als Trümmerfrau

Weitere Kostenlose Bücher