Der Kalte
habe ich begonnen. Man räumt die Trümmer weg, und was hat man am End? Trümmer!«
Sie seufzte. Rosa dachte darüber nach, was die Frau wohl als junges Mädl gemacht haben mochte, bevor sie die Trümmer weggeräumt hatte. Da begann Wewerka bereits mit leiernder Stimme aus ihrem Leben zu erzählen. Ihr Vater war gefallen, ihr Mann hatte getrunken und ist vor drei Jahren gestorben, der Sohn trinkt und arbeitet als Polier am Bau, die Tochter ist verheiratet, lebt in Messina, der Schwiegersohn ein Süditaliener, man weiß ja eh. »Man hat eine Familie und ist ganz allein. So ist das. Und Sie? Sie sind doch jünger als ich, ich bin sechsundzwanzig geboren.«
»Achtundzwanzig.«
»Da wissen Sie eh alles. Ist Ihr Leben besser verlaufen? Sie
haben Mann und Sohn, ich habe sie gesehen. Es ist immer wer bei Ihnen. Wie schön.«
»Gehen wir schlafen.«
»Wenn ich nur könnte. Immer kreiselt es im Kopf. Wozu das Ganze? Ach, entschuldigen Sie, dass ich Sie anjeijere, ich weiß auch nicht.«
»Morgen ist auch noch ein Tag.«
»Wenn es schon der letzte wäre. Na ja, man muss es halt ertragen, was immer kommt. Entschuldigen Sie nochmals.«
Christine Wewerka erhob sich, Rosa ebenfalls, und die beiden gingen in ihre Zimmer.
Vickerl brachte das Schach. Zum Erstaunen Rosingers wies Fraul es zurück.
»Keine Lust, Herr Fraul?«, fragte er.
»Mir geht das ewige Schachspielen auf die Nerven.«
»Sie müssen doch nicht«, sagte Rosinger.
»Natürlich muss ich nicht.«
Rosinger war erschrocken und fühlte, wie der Schreck als Flauheit im Magen noch nachwirkte. Er sagte nichts, sah beim Fenster hinaus. Schließlich erhob er sich.
»Wenn Sie nicht aufgelegt sind, ich meine, wenn ich Sie störe, dann geh ich jetzt lieber.«
»Ich spiel mit Ihnen Schach, dz, dz. Meine Frau kriegt einen Herzinfarkt nach dem andern, mein Sohn, ach was. Sie haben recht, ich bin heut nicht in Stimmung.«
»Meine Hedi …«
»Ja, Rosinger, Ihre Hedi ist schon lang tot. Es sind so viele schon lange tot und sind nicht an Krebs gestorben oder an einem Infarkt.«
»Auf Wiedersehen«, sagte Rosinger traurig und ging. Durch das Fenster sah Fraul, dass der Fährmann den Rosinger aufhielt und auf ihn einredete. Rosinger hörte zu, zuck
te hernach die Achseln, ging aber mit Rabindranath zur Überfuhr hinunter. Fraul drehte den Kopf und schaute zur Theke. Vickerl hatte ihn anscheinend beobachtet und wandte sich jetzt ab, beschäftigte sich mit Gläserputzen. Sie waren die Einzigen im Lokal. Fraul stand schnell auf, eilte aus dem Lokal und zur Überfuhr hinunter. Am drüberen Ufer stieg Rosinger aus. Fraul wartete. Als sich Rosinger umdrehte und Fraul sah, winkte ihm dieser und deutete ihm zurückzukommen. Rosinger missverstand die Geste, winkte zurück und begann mit dem Rücken zu Fraul die Stufen hinaufzugehen.
»Wilhelm«, brüllte Edmund über den Donaukanal. Rosinger drehte sich nochmals um, nahm wahr, dass Fraul seine Wiederkehr wünschte, und ging die Stufen wieder hinunter. Rabindranath, der schon abgelegt hatte, warf das Steuer herum und nahm Rosinger wieder mit.
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, sagte Fraul, nachdem sie wieder im Praterer Platz genommen hatten. »Statt Holzfiguren hin und her zu schieben, erzählen Sie mir von Auschwitz. Vom Hin- und Hergeschiebe dort. Von Ihren Freunden, Vorgesetzten. Erzählen Sie mir von Ihrem Leben, Rosinger. Dort.«
»Wollen Sie es für ein Buch verwenden, was ich Ihnen sagen tät, oder für Zeitungen?«
»Aber geh! Für hier! Statt Schachspielen. Zum Zeitvertreib.«
Rosinger hob ruckartig den Kopf und starrte auf Frauls Gesicht. Der hielt es ihm entgegen, offen und mit erhobenem Kinn, und lächelte unvermittelt. Wieder erschrak Rosinger.
»Ich weiß nicht«, murmelte er. »Wozu soll das gut sein?«
»Beginnen wir damit, dass Sie mir sagen, wie die erste Phenolspritze ins Herz der Kinder war. Wie sah das erste Kind aus?«
»Es war ein blondes Mädl, zehn Jahre. Ich werde es nie vergessen. Alle sieben vergesse ich nicht. Es waren sieben.«
»Das weiß ich. Wie kam es dazu?«
»Klehr gab mir die Spritze.«
»Das weiß ich doch. Das haben Sie ausgesagt. Ich will wissen, was Sie gedacht haben.«
Rosinger schwieg. Fraul sagte nichts. Bauarbeiter in blauen Overalls kamen zur Tür herein.
»Ich hab nichts gedacht, Herr Fraul. Ich habs getan.«
»Und später?«
»Später. Dass es schwer ist. Es war für mich schwer. Für Klehr wars leicht. Für mich war es so schwer. Wieso?«
»Wie
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