Der Kalte
Boden sank. Oenone kam von der Seite auf die Bühne gelaufen. Sie rief rechtzeitig:
»Was tut ihr, Herrin? Gerechte Götter!
Dort kommt jemand. Erspart euch unliebsame Zeugen;
Kommt jetzt, geht hinein, flieht eine sichere Schande.«
Astrid ließ sich zwei Schritte führen, schüttelte die Dienerin ab und wandelte ophelienhaft von der Bühne.
8.
Rosa wurde nach drei Wochen entlassen, aber sofort auf Rehabilitation in die Klinik Raxblick geschickt. Dort bezog sie ein kleines helles Zimmer, war für sich allein und konnte jeden Tag auf die Rax schauen. Dies helfe bei der Genesung, wurde ihr gesagt. Die Rax hilft immer, sagten auch andere Kurgäste, sie sagten es sich vor und sie genasen. Rosa kam zu Kräften, sie spazierte durch das immer gleiche Waldstück zu einer Bank, genannt Hausbergebank. Von dort sah sie entlang einer Schneise auf das Hochplateau der Rax und rechts hinüber sogar noch zum Schneeberg, der wie ein aufgerichteter Seehund dastand.
Nach einigen Tagen hatte sich ihr eine etwa gleichaltrige Frau angeschlossen, stellte sich als Christine Wewerka vor, sprach von ihren drei überstandenen Herzinfarkten, lobte die Frau Doktor Haller und auch Herrn Doktor Messerschmidt, der ihr eine Herzklappe eingesetzt hatte.
Rosa hörte ihr zu, saß mit ihr ein wenig auf der Bank, war ganz froh, sie für den Rest des Tages los zu sein, denn nachmittags blieb sie im Zimmer und las. Karel kam sie gelegentlich besuchen, schien aber abwesend zu sein, wenn er mit ihr ums Haus und zur Alm ging. Edmund besuchte sie dreimal in der Woche mit höflich eingemeißeltem Gesichtsausdruck. Ihm kam vor, dass er in die nämliche Wortkargheit verfiel wie einst, als er noch seine Mutter Franziska besuchte. Rosa merkte, wie Edmunds Eiskruste dicker und fester wurde, dennoch fühlte sie sich von ihm, wenn er ihr beim Spaziergang den Arm bot, geborgen wie immer.
In der Hollandstraße hatte sich Edmund nun ein eigenes Küchenregime eingerichtet. Er stand täglich um halb neun auf, machte sich immer dasselbe zum Frühstück, ging jeden zweiten Tag einkaufen und täglich gegen halb elf ins Café Korb. Dort traf er häufig Paula Grünhut, ohne mit ihr näher ins Gespräch zu kommen, er besuchte das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, in dessen Vorstand man ihn nach wie vor nicht hineinwählte, denn die Kommunisten dort vergaßen ihm den Parteiaustritt nicht, obwohl der schon dreißig Jahre zurücklag. Donnerstags traf er Rosinger, spielte Schach mit ihm, sprach aber wenig, befand, dass es besser sei, den alten Kindermörder auf Distanz zu halten. Es wehte ihn unangenehm an, dass ihm dieser näher rückte als die Kampfgefährten, die er so selten traf, die meisten erst am Tag ihres Begräbnisses. Als er mit Rosinger gar zum Grab von Bobby Heller gegangen war, hatte er bemerkt, wie ihm das zu viel wurde. Beim Schachspiel gewann einmal er, einmal Rosinger, nicht selten einigten sie sich auf Remis. Letzten Donnerstag beim Praterer wurde Edmund Zug um Zug übellauniger. Obwohl er die Partie gewann, ließ er den erschrockenen Rosinger ohne ein Wort dort sitzen und die Zeche zahlen.
Er stand an der Rampe von Birkenau, ein Transport aus Wien war gekommen, ganz gut genährte österreichische Juden, ordentlich gekleidet. Lebensart kletterte aus dem Waggon, er allerdings hohlwangig, blieb vor Fraul stehen und musterte ihn mit einem derart verächtlichen Blick, dass Edmund an sich herunterschaute. Er sah, dass er die schwarze Ausgehuniform der SS anhatte. An der Brust prangte der Blutorden, den ihm Wirths am Morgen angesteckt hatte. Der schmeichlerische Apotheker Capesius war lachend angedackelt gekommen, wartete nun neben ihm und Wirths auf den nächsten langsam einrollenden Zug. Als der hielt, die Türen aufgeschoben wurden, die Hunde bellten, die Schnellerschnellerkommandos erschallten und die Deportierten aus den Waggons kletterten, fielen und gezerrt wurden, verschränkte Capesius die Hände vor der Brust.
»Erste Selektion, Untersturmführer Fraul? Ruhig Blut. Einfach dirigieren, schauen Sie, so!«
Und Capesius schickte den vom vorigen Zug übrig gebliebenen Lebensart nach rechts und flüsterte Edmund dabei zu: »Den brauchen wir noch.«
»Wofür?«, hörte sich Fraul sagen.
»Persilscheine. Er hat erstklassige Ostküstenkontakte. Ist mit Roosevelt per du, schlief mit Eleanor.«
»Halts Maul, Victor«, sagte Eduard Wirths, »lass ihn sein Dirigat machen und quassel nicht immer dazwischen.«
»Du kannst mich nicht
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