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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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wieso?«
    »Wieso war es für mich schwer? Für die anderen wars leicht.«
    »Und für die Kinder?«
    »Ich weiß eh, Herr Fraul. Sie müssen darauf herumreiten. Aber Ihnen sage ich jetzt: Seit damals fragen mich die Kinder auch, wieso?«
    »Was sollen sie denn sonst fragen? Und was antworten Sie ihnen?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Sie wissen es nicht?«
    »Nein, Herr Fraul. Ich sage ihnen, allen sieben, dass ich nicht weiß, warum sie durch mich sterben mussten.«
    »Und dass Sie weiterlebten?«
    »Und dass ich weitergelebt hab.«
    »Dass Sie um die Hedi trauern konnten?«
    »Ja.«
    »Und um die sieben Kinder nicht.«
    »Nein, um die nicht.«
    »Weil sie Sie verfolgen?«
    »Ja, sie verfolgen mich.«
    Edmund klopfte mit den Fingern auf die Tischplatte.
    »Wollen Sie mir, statt mich im Schach zu schlagen, berichten von damals?«
    »Es ist zu gräßlich. Lassen wir das doch. Ich bitte Sie.«
    »Nix da. Erzählen! Und ich berichte Ihnen. Von der anderen Seite. Nun?«
    Rosinger sah in sein halbgeleertes Bier und nickte.
     
    Am nächsten Tag und die Tage danach ging Rosa mit Frau Wewerka vormittags zur Hausbergebank. Dort saßen sie eine Weile, besahen die prächtige Natur und sprachen weder über Krankheiten noch über die Vergangenheit. Am Tage bevor Rosa entlassen wurde, sah sie Christine Wewerka das letzte Mal, denn diese starb in der darauffolgenden Nacht.
    9.
    (Aus dem Tagebuch des jungen Keyntz)
24. 9. 1986
    Die Briefe von Prinzessin Dolores werden immer kürzer und belangloser. Was interessiert mich, wie ihre Lehrer in der Schule aussehen. Anfangs herrliche Liebesbriefe und jetzt sowas. Cool antworten, vielleicht wieder die Helen erwähnen?
     
    25. 9.
    Gestern war ich in der Burg mit Mutter, der Haller und Guido. Der hat uns ganz gute Karten besorgt. Im Parkett. Gegeben haben sie Phädra, ein komisches und altmodisches Stück mit einer Schauspielerin, die nur hysterisch herumgeschrien und damit alle anderen total genervt hat.
Sie ist eine alte Schachtel, die sich in einen jungen Krieger verknallt hat, obwohl sie als Königin mit Theseus verheiratet ist, der aber verschollen ist. Der junge Krieger steht aber auf eine gleichaltrige schöne Prinzessin oder was die ist. Von diesem Hippophernes wollen also gleich zwei Frauen was. Und der Schönling ist ausgerechnet das Arschloch Karl Fraul. Ich war in der Reihe eingeklemmt. Am liebsten wäre ich gegangen, habe dann beschlossen, in der Pause zu gehen, aber Pause war keine. Guido hat dauernd zu mir hergeschaut, als sollte ich mich noch freuen. Ich hab dann versucht, mich auf den Text zu konzentrieren. Unglaublich, wie geschwollen die Leute in dem Stück daherreden, ärger als beim Schiller. Dieser Racine muss im Mittelalter gelebt haben. Ich hab mir den Operngucker von Mutter gegrapscht und mir die Astrid Gehlen und den Fraul genau angesehen, als die sich gegenseitig Liebe und Verachtung und so Zeug ins Gesicht brüllten. Diese von Gehlen ist gar nicht alt, in der Szene mit dem Fraul sieht sie eigentlich jünger aus als er. Er steht nur so auf der Bühne rum, und sie greift ihm am Schluss auf die Eier. Dem greifen anscheinend alle auf die Eier. Und keiner tut das gut. Die Phädra bringt sich am End auch um, und er segelt mit der Jungen davon. Das Stück ist wie eine Oper, nur mit Geschrei statt mit Gesang. Nach der Vorstellung, in seinem Auto, habe ich dem Guido gesagt, so ein Scheiß ist nur erträglich, wenn man ihn singt. Dann macht das Geschwollene nix, siehe La Traviata. Mein Vater war super als Papa Germont. Guido hat mich erstaunt angeschaut, als hätte ich was Besonderes gesagt. Kommt morgen ein Brief von Dolly?
    26. 9.
    Kein Brief. Ich hab mir aus der Schulbibliothek die Phädra geholt und drin rumgelesen. Mir kommt der Text gar nicht so gespreizt vor beim Lesen. Verstaubt ists aber schon ziemlich, finde ich. Warum hat der Messerschmidt uns alle in die Burg eingeladen? Am Stück kanns nicht gelegen haben. Wegen Karl? Mir wird klar, der Guido will also, dass ich den Fraul als Künstler kennenlerne. Wozu?
    Statt dem blöden Tagebuchgeschreibsel sollte ich den Sartre hernehmen. Zur Matura ist es eh nicht mehr lang. Und Dolly schreiben, dass ich es ohne sie nicht mehr ausgehalten hab und mit einer anderen pro forma was angefangen hab. Sex ohne Liebe. Denn lieben tu ich nur dich, meine Judenkönigin Dolores.
     
    27. 9. spätabends
    Hab ihr sehr kurz geantwortet auf ihren Brief, der heute gekommen ist. Brief? Ein längeres Telegramm eher. Sie ist traurig, sie

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