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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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Abspritzerei gern selbst. Er forderte auch uns auf, Hantl, Scherpe, Stark.«
    »Stark nicht.«
    »Stimmt, Herr Fraul. Wie komme ich auf Stark?«
    »Der hat auch gewütet, auf andere Art.«
    »Sicher.« Rosinger schwieg und schaute auf den Weg, den er mit Fraul entlangging.
    »Ich sollte«, fuhr er fort und drückte in der rechten Manteltasche die Finger fest zur Faust zusammen, »eben diese Kinder abspritzen. Als ich dann zusammengebrochen bin, hat mich der polnische Häftling Sweczinski auf eine so mitleidige Art angeschaut gehabt. Ich bin aufgestanden und hab ihm einen Tritt gegeben, eh leicht, aber doch, was ich sonst nie getan habe. Dieser Marek Sweczinski geht mir bis heute nach.«
    »Nur deshalb?«
    »Er hatte schon eine ziemliche Weile Dienst bei Klehr tun müssen. Immer hat er entweder mit Edek oder mit Lech die Häftlinge ins Zimmer geführt, auf den Sessel gesetzt, damit Klehr ihnen das Phenol ins Herz spritzt. Oft hatte er vorher oder eben Edek oder Lech den Abzuspritzenden mit Tintenblei die Nummer auf die Brust geschrieben. Man glaubt gar nicht, wie man abstumpft. Marek hat oft ausgesehen wie Klehr selbst, als hätte er irgendwas im Mund gehabt. Er hat es mit Gleichgültigkeit getan, wofür ich ihn bewundert – nein, das kann ich nicht sagen, niemand hat polnische Häftlinge bewundert, niemand von uns, meine ich.«
    »Auch nicht Mala?«, knurrte Fraul.
    »Von Mala Zimtbaum habe ich nur gehört, dass –«
    »Zimetbaum, Rosinger. Sie hieß Mala Zimetbaum.«
    »Ach so. Von der hab ich erst später gehört. Das ist die, welche mit einem Polen oder Tschechen geflohen ist? Die man wieder eingefangen und am Appellplatz aufgehängt hat? Da fällt mir ein, der polnische Priester, der freiwillig
für einen anderen in den Stehbunker ging, der hat uns allen imponiert. Sogar Capesius hat gesagt, dass der Respekt verdient.«
    »Capesius hat alles Mögliche geredet.«
    »Das ist wahr.«
    »Also was war mit Marek?«
    »Einmal kam er raus, von dort, wo sie dann die Leichen hingelegt gehabt haben, und hatte Tränen in den Augen. Klehr sah das und fuhr ihn an: ›Was 'n los! Was über die Leber gelaufen?‹ Sweczinski hat nichts darauf erwidert. Brüllt Klehr los: ›Mach die Fresse auf!‹ Marek zeigte mit dem Daumen nach hinten zum Raum mit den Leichen. ›Ich hab meinen Vater zu Ihnen geführt und dann dorthin.‹ ›Was?‹, sagte Klehr, ›warum hastu dein Maul nicht aufgetan? Ich hätte ihn selbstverständlich verschont.‹ Und er klopfte dem Marek auf die Schulter und ging weg. Ich hab ihn dann gefragt, warum er das dem Klehr nicht vorher gesagt hat. Wissen Sie, was er geantwortet hat?«
    »Er hat geglaubt, Klehr setzt ihn gleich neben seinen Vater und spritzt ihn ab.«
    »Sie wissen es, Herr Fraul? Ich glaube, paar Tag später ist Marek in den Draht gegangen.«
    »Nein, Rosinger. Marek Sweczinski starb an Typhus.«
    »Sie wissen alles!«
    »Gar nicht«, sagte Fraul. »Marek war im HKB . Wie sollte ich ihn da nicht gekannt haben?«
    »Und die Geschichte kannten Sie auch?«
    »Nein. Aber Klehr hätte ihn neben seinen Vater gesetzt.«
    Sie gingen das Heustadelwasser entlang. Rosinger bemerkte an der Böschung Palmkätzchen.
    »Auf dem Weg in die Gaskammer ging auch eine junge Frau aus Posen«, hob Fraul an. »Ich nenne sie Lina Stern
feld. Die Todeskolonne befand sich vorm Krematorium drei. Nun mussten sie sich entkleiden. Sie kamen direkt von der Rampe. Es war viel Betrieb. Sie warteten. Als Lina beim SS -Oberscharführer Schillinger vorbeiging, beglotzte er sie ausführlich und auffällig. Er soll sie sogar an der Schulter berührt haben. Lina bückte sich, bekam Sand mit der Hand zu fassen und schleuderte ihn in Schillingers Gesicht. Er fuhr mit beiden Händen zu seinen Augen, sie riss ihm den Revolver vom Gürtel, drückte ab, entsicherte dann und schoss ihm drei Kugeln in den Wanst. Er war vermutlich sofort tot. Häftlinge trugen ihn weg. Stark hatte Lena ergriffen, zerrte sie an den Haaren aus der Schlange heraus, führte sie dann zur Wand und erschoss sie. Jerzy Wesolowski hat es mir berichtet. Zwei Sachen hatte sie gesagt. Zu Schillinger, bevor sie ihn niederschoss, sagte sie: ›Da hast du.‹ Und zu Stark, bevor er sie erschoss: ›Na wenn schon.‹«
    Rosinger blieb stehen. »Davon habe ich gehört, ich meine, dass Schillinger von einer nackten Jüdin erschossen wurde. Sie hat ihm im Auskleideraum vor der Gaskammer die Kleider ins Gesicht geworfen und ihm den Revolver entrissen. Andere Frauen haben sich

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