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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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Zunge in der Mundhöhle zu bewegen, drehte sich aus dem Bett, wankte in die Küche und begann Wasser zu schlempern. Um den lauen Geschmack wegzuschaffen, holte er aus dem Eiskasten die halbvolle Flasche Weißwein heraus, setzte an und trank sie aus. Im Hinterkopf spürte er, wie einige Gedanken langsam unter der Kopfhaut nach vorn krochen, um sich zwischen den Ohren festzusetzen. Karl rief seine Mutter an, erwartete, dass es lange läuten würde, wusste aber, sein Vater würde nur dann an den Apparat gehen, wenn Mama etwas zugestoßen wäre. Als hätte Rosa den Anruf geahnt und erwartet, war sie sofort am Hörer. Edmund sah im Augenöffnen noch den schmalen Rücken seiner Frau aus dem Schlafzimmer verschwinden. Mein besoffener Sohn, dachte er. Und sie ist wie immer zu Diensten. Er registrierte, wie Rosa im Bad zugange war, er hörte einen Reißverschluss, er vernahm die rinnende Wasserleitung. Trotz Harndrang blieb er liegen, weil er Rosas Weggang abwarten wollte. Als die Tür ins Schloss fiel, stand er auf. Fast halb vier, dachte er, und sie fliegt über den Kanal nach Margareten. Im Bad betrachtete er seine Visage und sah das Antlitz
von Eduard Wirths im Spiegel erscheinen, bis es neben seinem angekommen war: die beiden Edis, Wange an Wange. Fraul rieb sich die Augen klar, schüttete sich zwei Hände Wasser ins Gesicht, setzte sich im Wohnzimmer in den Stuhl vor dem Fernseher.
     
    Karl machte seiner Mutter die Tür auf, drehte sich um und warf sich aufs Bett. Das Gesicht im Polster vergraben, lag er vor ihr da, die sich daneben an die Wand lehnte und bekümmert auf den Rücken ihres Sohnes blickte. Schließlich setzte sie sich auf die Bettkante, griff ihm in den Nacken und begann seinen Hinterkopf zu streicheln. Er warf sich herum, schaute, während er zu reden begann, auf den Plafond. Er berichtete ihr von seinem Kampf mit der Rolle Benjamin Ruben und dass er diese Figur so wenig verstünde wie IHN . Rosa wusste, wer mit diesem IHN gemeint war, aber sie ließ sich erst einmal das Stück erzählen. Als Karl vom Aufstand des Sohnes gegen das Opportunistische des Vaters sprach und sich dabei durch kurzes und heftiges Lachen unterbrach, klatschte sie zweimal in die Hände. In die Stille begann sie mit klarer Stimme zu sprechen:
    »Karel, das ist nicht schwer zu verstehen. Das verstehst du doch sehr genau. Aber es gefällt dir nicht.«
    »Was soll mir nicht gefallen?«
    »Das Thema. Die damalige Zeit.«
    »Diese damalige Zeit macht alles kaputt«, sagte er. »Mit dieser Zeit ruiniert er dich. Versucht er auch mich zu ruinieren. Immer dieses Herumstierln.«
    »Lass ihn, Karel. Lass mich. Wir sind vorläufige Menschen nur. Wir sind nur vorläufig. Du aber hast das Leben ganz in deinen Händen. In dem Stück gehts doch um diese Vorläufigen. Die, so wie wir, von anderen abhängig waren. Auf
Leben und Tod. Das wirkte sich halt aus. Schau, er musste diese Zeit durchleben. Du brauchst sie nur zu spielen.« 
    »Nur zu spielen, Mama. Ich kann nicht nur spielen.«
    »Musst du denn in so einem Stück mitmachen?«
    Karl schwieg. Rosa wartete.
    »Ich will das können. Ich will alles spielen können«, sagte er schließlich.
    »Dann solltest du vielleicht doch einmal mit ihm sprechen.«
    »Muss ich das mittelalterliche Dänemark kennen, wenn ich den Hamlet gebe?«
    »Das weiß ich doch nicht.«
    »Es war unerträglich. Meine ganze Kindheit immer dieses Lager. Was hättest du gemacht, wenn Klehr dich gezwungen hätte, deinen besten Freund zu töten? Wasche dich mit kaltem Wasser, im Lager hättest du nicht überlebt, wenn du nicht … und so fort …«
    »Ich weiß«, sagte sie leise. »Wir sind so.«
    »Du doch nicht, Mama.«
    »Wir sind so. Sag mir, lebt dieser Nemecsek noch?«
    »Natürlich. In Berlin.«
    »Kannst du nicht zu ihm fahren …?«
    »Hinter dem Rücken von Adel? Unmöglich. Außerdem, der wird mir das Gleiche erzählen wie er.«
    »Wie Vater? Das glaube ich nicht.«
    »Es sind doch alle so, hast du grad selbst gesagt. Vorläufige.«
    »Hoffentlich nicht. Nemecsek ist doch ein Künstler!«
    »Na und?«
    »Künstler sind etwas Besonderes.«
    »Aber geh.«
    »So wie du. Auch du bist etwas ganz Besonderes.«
    »Aber geh.«
    Und Karl schaute seine Mutter an, verzog sein Gesicht zu einem Lächeln.
    »Das weiß ich«, sagte sie.
     
    Als Rosa gegen sechs Uhr früh nach Hause kam, fand sie Edmund im Fernsehstuhl. Er schlief mit offenem Mund und halboffenen Augen. Sie strich leicht über sein Gesicht. Er

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