Der Kalte
führen kann, das wäre quasi ein zweiter Anschluss. Er hatte alle österreichischen Schauspieler gegen uns aufzuwiegeln versucht. Aber jede Rolle, die ihm Schönn angeboten hatte, war ihm zwar nicht gut genug, aber genommen hat er sie trotzdem, und ich muss sagen, spielen kann er. Den hatten wir jetzt also auf dem Pelz.
Adel kam mit seiner Frau, der Schreckschraube Dronte, der Mutter von Katharina, in Wien an. Frau Dronte wollte ihren Mann dazu bringen, die Kathi in dem Stück einzusetzen. Ich wüsste nicht als was. Für meine Rolle wäre sie zu jung. Es wurde gemunkelt, Nemecsek solle einen zusätzlichen Part für sie hinzudichten. Aber Kathi hatte von selber abgewunken. Die Aricia unter ihrem Stiefpapi hat ihr gereicht.
Am letzten Tag vor Probenbeginn war ich wieder mal nach längerer Zeit bei Karel in der Margaretenstraße. Ich wollte etwas Wein trinken und dann mit ihm in die Kiste springen. Er war aber schlaff und saß in sich drin. Er wollte über den Heilsbringer reden, weil er die Rolle nicht versteht. Er jammerte mich an. Meine Güte, was ist daran nicht zu kapieren? Also gut, ich redete mir den Mund fusselig, als wäre ich Scherfele oder Peterchen. Irgendwann sagte ich ihm, seine Asta sei müde und möchte jetzt in die Harpfn, wie sie hier sagen. Er sah mich mit einem irgendwie traurigen Grinsen an, zog sich aus, platzierte sich auf den Rücken und verschränkte seine Arme.
»Na«, sagte er.
Ich wollte aufstehen und heim, stattdessen zog ich mich auch aus und legte mich auf ihn drauf. Es war einfach öde, dennoch bin ich dann neben ihm liegen geblieben und habe ihm bei seinem hektischen Schlaf zugesehen. Er dreht das kleine Licht nachts seit einiger Zeit nicht mehr ab, und so konnte, was heißt, musste ich mit ansehen, wie er sich
büschelweise seine Locken ausriss. Ich weckte ihn zweimal auf, einmal starrte er mich wütend an, beim zweiten Mal murmelte er: »Ich muss aufs Häusl.« Ich machte kein Auge zu.
Wir sind morgens zusammen zur Probe gefahren, ich war ausgelaugt, er war mürrisch und unsicher. Peterchen freute sich, umarmte Karel heftiger als mich. Ganz gegen seine Art schwärmte er ihm vom Hippolyt vor, dem besten, den er je hatte, als ob Adel jedes Jahr eine Phädra inszenierte. Fraul aber ließ seine Arme hängen, sagte ihm von Anbeginn, dass er den blöden Benjamin nicht verstünde und noch weniger den Chef des Judenrats, der offenbar zufällig sein Vater war, denn es gäbe nix Gemeinsames, nix, nix. Adel wandte sich an mich: »Was sagt er? Was meint er? Was will er?« Schließlich schickte er ihn mit grämlicher Stimme an seinen Platz, damit wir die erste Leseprobe machen konnten. Katastrophe.
Nach der dritten Probe kam Moritz Vesely zu mir:
»Was ist mit dem Parch los«, fuhr er mich an.
»Wieso fragst du mich?«
»Astrid«, lachte er mir ins Gesicht, »was gibst du für Antworten?«
Nicht nur die Burg, die halbe Stadt wusste inzwischen von Karl und mir. Dennoch ärgerte mich Moritz' schmierige Vertrautheit. Ich murmelte irgendwas. Er ging kopfschüttelnd weg und versuchte in weiterer Folge, den Karel wie ein krankes Ross zu behandeln, mal nickte er aufmunternd, wenn Karel seine Sätze runterspulte, mal verdrehte er die Augen, mal versuchte er ihn zu striegeln, mal gab er ihm die Peitsche, während Peter Adel sich in seinem Stuhl wand und sein »Ich glaub dir nicht« hinaufrief oder: »Das war ja jetzt gar nichts von Garnichts.«
Dünster, der den Linde, also das SS -Gegenüber vom Juden
ältesten, spielte, nutzte die Situation aus, um alte Rechnungen zu begleichen. Er ließ den Karel zusätzlich hängen, tat dabei unschuldig und moserte in der Kantine herum.
Karl begann wieder stärker zu trinken, stand abends im Pick Up und schaute an der Theke stehend ins Bier. Ich tat mein Bestes und ging auch hin, zog ihn zu einem der Tische und redete in ihn hinein. Er betonte immer wieder, dass der Vesely wie sein Alter wäre, und den hätte er schon als Kleinkind nicht leiden können. Ich sagte, dann solle er doch das zur Grundlage der Rolle machen: verständnislos, kalt, verächtlich, weil Vater kollaboriert und so weiter.
»Herr Edmund Fraul hat nicht kollaboriert«, sagte Karl. »Herr Edmund Fraul ist ein Held. Herr Edmund Fraul hält die Welt als Sandkorn zwischen den Fingern. Genosse Fraul ist kein Judenwurschtel wie dieser schwachsinnige Salomon Ruben in diesem schwachsinnigen Stück dieses albernen Nemecsek.«
»Du weißt, dass der Heilsbringer ein famoses Stück ist. Und es sind
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