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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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eingesetzt. Eigentlich muss ich den Arsch zusammenzwicken, denn Mitte Mai ist schriftliche Matura. Ich kann eh nix, aber auf die Woche kommts jetzt auch nicht mehr an. Was wird mich erwarten? Die letzten Briefe von Dolly waren sehr schön.
    Ich habe der Helen gestern reinen Wein eingeschenkt. Ich hab ihr klar gesagt, dass ich die Dolly mit ihrer Hilfe vergessen wollte, aber dass sie mir halt nicht aus dem Kopf geht. Die Helen hat mir vorgeworfen, dass ich nicht wie angeblich versprochen den Kontakt abgebrochen habe. »Wir zwei hatten ja keine Chance«, hat sie mich angejeijert. Dabei haben sich ihre tollen schönen blauen Augen mit Tränen gefüllt. Sie tut mir leid und geht mir zugleich auf den Keks. Irgendwie blöd.
    Hat die Dolores einen andern? Im letzten Brief habe ich sie direkt danach gefragt, und sie hat in dem Brief von letzter Woche geantwortet, ich schreibe das jetzt ab:
    »Ich kann dich zwar gar nicht vergessen und denke mit Sehnsucht immer und ständig an dich. Hier aber ist vieles, wie du dir denken kannst, neu und ungewohnt und auch spannend. Ich habe dir bisher nur geschrieben, wie es mir in Bezug auf dich geht, denn anfangs habe ich alles hier mit dir in meinem Inneren geteilt. Ich habe dich sozusagen immer mit mir rumgeschleppt. Seit einiger Zeit bin ich öfters mit Tammi zusammen, ich hab dir von ihr geschrieben, das ist die Berlinerin. Sie haben eine große Wohnung
in der Amsterdam Street in Tel Aviv, und so bleibe ich manchmal dort, statt mit Meschullah, der mich ja täglich von der Schule abholt, heimzufahren.«
    Sie hat richtig »heimfahren« geschrieben.
    »Ihre Eltern sind supernett, ich glaube, die wissen gar nicht, warum sie aus Berlin fortgegangen sind, denn sie sind alle Nasen lang wieder in Berlin, aber Tammi bleibt da und hat also oft sturmfrei. Und stell dir vor, wenn ich dann bei ihr bleib und allein in einem riesigen Bett übernachte, kommst du mir so nah, dass es wehtut. Aber sonst sehe ich jetzt die Welt um mich herum mit eigenen Augen, und es kann sogar vorkommen, dass ich eine ganze Stunde nicht an dich denke. Du musst einfach kommen. Du musst mit mir unsere Liebe auffrischen. Tammi sagt, wenn man die Liebe nicht von Zeit zu Zeit auffrischt, geht sie flöten. Ich liebe dich sehr, aber du musst endlich hier aufkreuzen. Ich wäre gern zu Ostern nach Wien gekommen, aber meine Eltern erlauben es nicht. Komm, Love, Dolly.«
    Am Wochenende hat Mutter endlich zugestimmt. Ich schreib jetzt schnell an meine Liebste, dann muss ich an die »Fliegen«.
     
    3. 4. 1987
    In einer Woche fliege ich. Dolores schreibt, Pessach beginnt am vierzehnten April. Da muss ich wiederum mich nach links in den Sessel hängen und Humus essen mit ihrer Mischpoche, aber dafür bin ich bei ihr und darf sogar bei ihr wohnen.
    Habe gestern doch wieder mit Helen geschlafen. Zu blöd. Ich bin so gamsig, wenn ich an Dolly denke, da bleibt auch noch was über, ich konnte der Heulsuse dann doch nicht widerstehen. Ich hab mir gedacht, ein Abschiedsfick. Leider hat sie mir gesagt, sie ist glücklich, wenn sie bei mir ist,
und todunglücklich, wenn sie an meine Israelreise denkt. Ich muss endgültig Schluss machen.
     
    4. 4. 1987
    »Die Fliegen« sind ein interessantes Stück. Jetzt habe ich richtig Lust, auch noch die anderen Sartrestücke zu lesen. Für die Matura schadets eh nicht. Den Sartre nehme ich mit. Und Musik für mich und für Dolly. Dolly, Dolly, Dolores. Fräulein Dolores Keyntz, nein nicht Fräulein. Frau Dr. Dolores Keyntz. Klingt gut. Na ja, klingt nach Margit.

20.
    Krieglach schob seiner Frau den Brief über den Küchentisch. Er saß eingesunken vor seinem Kaffee und den Ham and Eggs und rang still mit einem mächtigen Kater. Nichts vertrag ich mehr, es geht ans Morsche, dachte er. Er begann erst die linke, dann die rechte Schulter zu bewegen, stand auf, streckte und dehnte sich.
    Emmy sah vom Brief hoch, brachte ihm ein Aspirin und aus dem Kühlschrank eine Flasche Bier und las den Brief zu Ende.
    »Warum schreibt sie das dir?«, fragte sie und trank von ihrem Kaffee.
    »Warum schreibt sie mir, warum schreibt sie mir. Blöde Frage. Deine Gedankenlosigkeit wird immer ärger. Ich war doch bei ihrer Vernissage. Jetzt beschwert sie sich über Österreich, über den Scheißer in der Hofburg. Von Künstler zu Künstler.«
    »Sie braucht sich doch nicht bei dir über Wais beschweren. Das finde ich abwegig. Kennt sie deine Sachen nicht?«
    »Emmy, was ist denn los?«
    Emmy griff hinüber zu seinem Bier und

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