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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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und folgte ihrer Schwester nach draußen. Der Kellner kam stirnrunzelnd zu Fraul. »Wollen Sie zahlen?« Karl nickte.
    Als er auf die Straße trat, sah er die beiden Frauen an der Ecke stehen. Er ging hinunter zur Fasanenstraße, läutete bei ZEN . Er war zwanzig Minuten zu früh, wurde aber dennoch eingelassen und an der Wohnungstür vom Ehepaar Nemecsek empfangen.
     
    Nachdem Herbert Krieglach die Wohnung verlassen hatte, um in sein Atelier zu gehen, dort eins aufs andre zu tun, vor
allem an den Skizzen zu einem Wiener Totentanz zu arbeiten, also herumzufummeln, kleinteilige Strichtänze und ihre schattenhaften Echolalien mit seiner nervösen Linken zu entwerfen, zu choreographieren, häufelte er in Stunden etliche zerknüllte Skizzen neben dem Papierkorb an. Hernach rief er Teiler an und berichtete vom Brief der Mendelssohn. Der Galerist schnaubte bloß durch die Nase.
    Krieglach schenkte sich seine Portion ein, dazu viel Wasser, rief Emmy an, die war nicht daheim. Er warf sich aufs Sofa, und der Schlaf senkte sich herab und deckte ihn so zu, als läge er unter einer Zeitung, die beschuhten Füße an den Fersen aufgestellt und bewegungslos.
    Emmy konnte seinen Anruf nicht vernehmen, denn sie war nach kurzem Wohnungsputz hinüber in den Esterhazypark gegangen. Sie hatte das Signal mitgenommen und den Katalog der Lotte Mendelssohn von der letzten Ausstellung in Wien. Es war ein sonniger Tag, und sie setzte sich auf ihre Bank, nachdem sie ein Weilchen umherspaziert war, bis sie frei wurde. Sie hatte auf dem linken Oberschenkel den Katalog, auf dem rechten das Signal liegen. Der Wind fuhr ihr in die Bluse und angenehm über das Gesicht. Sie begann zum dritten Mal den Artikel der Zischka zu lesen, das Interview von Herbert, seine Schimpfereien, die empörten Statements des Bürgermeisters. Sie betrachtete die Bilder im Katalog, stellte sich vor, sie stünde in der Menschenansammlung und sah der knienden Jüdin beim Bürsten des Gehsteigs zu. Würde sie auch Scheißbagage rufen wie einst Krieglachs Vater, und er meinte, wie sich schnell herausgestellt hatte, nicht die reibenden Juden, sondern die Wiener, die sie umgrölten. Emmy erschrak, denn zwei Tauben flogen nahe an ihrem Kopf vorüber. Der Herr mit dem Foxterrier, der auch in der Schadekgasse wohnte, kam beim Park herein. Er zog den Hut
wie immer, als er sie auf der Bank sitzen sah. Er ließ den Foxl von der Leine, und der begann über die Wiese zu rennen, andere Hunde aufzufinden und an ihnen zu riechen. Der Herr hatte sich auf eine andere Bank gesetzt und las in der Stunde. Nach einer Weile schaute er sich nach seinem Foxl um, sah, wie er an Emmy Krieglach schnüffelte. »Burli, da komm her«, rief er, doch der Hund ließ nicht von Emmy ab, die bewegungslos auf der Bank saß und, wie der Herr nun bemerkte, etwas zusammengesunken war. Als er aufstand, um auf Emmy zuzugehen, fiel der Katalog zu Boden, und der Wind blies die Zeitschrift von ihrem Oberschenkel. Nach kurzer Zeit waren Rettung und Polizei im Esterhazypark, aber es war nichts mehr zu machen. 
    Krieglach wurde durch einen Polizisten im Atelier verständigt. Er nickte mehrmals zu dieser Nachricht. Als der Polizist weg war, nahm er den Hörer, rief seinen Galeristen an. 
    »Helfried«, sagte er laut, »Emmy ist gestorben. Nein, bin im Atelier, ich ruf mir gleich ein Taxi und fahr heim. Danke, dass du kommst.« Er schnäuzte sich, überlegte einen Moment, was er tun solle, hernach wählte er erneut eine Nummer.
    »Hildegard«, sagte er leise, »Emmy ist gestorben. Im Esterhazypark auf einer Parkbank.« Er lauschte. »Tja, du kannst es plötzlich nennen«, sagte er hierauf, legte auf und rief das Taxi.
     
    Nemecsek betrachtete Fraul, während der mit ausgreifenden Bewegungen sein Problem mit der Rolle Benjamin Ruben zu erläutern versuchte. Florence saß daneben und betrachtete ihren Mann, nagte an ihren Lippen, um schließlich zu unterbrechen.
    »Und deswegen kommen Sie extra nach Berlin?« Nemecsek hob seinen Arm.
    »Mein eigener Vater ist nach Auschwitz deportiert worden und musste dort in die Gaskammer. Ich lebte zu der Zeit in Amerika, weit genug von all dem. In den Siebzigerjahren sah ich zufällig auf einem der beliebigen Bilder aus Budapest jener Zeit eines mit Passanten, die links und rechts in einer Straße entlanggingen, bloß ein Passant querte die Straße und schaute dabei in die Kamera. Er hatte einen Borsalino auf. Das war mein Vater.«
    Er deutete auf die Wand, unter der Karl Fraul

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