Der Kalte
saß. Fraul stand auf, besah sich das zu einem Wandbild aufbereitete Foto.
»Aber das ist vermutlich unwichtig für Ihre Rolle«, sagte Nemecsek, nachdem sich Karl wieder gesetzt hatte. »Sie können sich nicht vorstellen, während Sie mit ihm streiten, weil er das Einvernehmen mit den Nazis sucht, um Schlimmeres zu verhüten, ohne zu wissen, dass es ohnedies immer zum Schlimmsten kommen würde, dass Sie als Sohn zugleich weit weg und in Sicherheit sind, in Miami zum Beispiel, und nun sehen Sie durch ein interkontinentales Fernrohr der Erdkrümmung zum Trotz nach Ferencváros und dort Ihren Vater, wie er seine Bücklinge vor Linde und Konsorten macht. Aus Ihrer sicheren Entfernung würden Sie lieber in die Wälder gehen, obwohl die in Ungarn nicht so dicht sind, oder sonstwo die Waffe in die Hand nehmen. Sie schauen kopfschüttelnd Ihrem feigen Vater zu, sind selbst eher bereit, in Präriestiefeln zu sterben, als sich letztendlich doch in eine Gaskammer schubsen zu lassen. Mit dieser Auffassung könnten Sie doch leicht den Benjamin Ruben geben.«
Karl Fraul wurde rot im Gesicht.
»Das ist ungeheuerlich«, brachte er schließlich heraus. Florence sah ihn an.
»Oder«, sagte sie langsam, »es passt Ihnen das ganze Thema
nicht! Vielleicht wollen Sie lieber Werther und Tasso spielen?«
»Mein Vater war in Auschwitz, meine Mutter war als Jüdin auch in Auschwitz. Ich bin bedient, danke.«
»Verstehe«, sagte Zoltán Nemecsek und zündete sich eine Zigarette an. »Wollen Sie auch eine?« Karl lehnte ab und machte einen Schluck.
»Sie sind bedient, aha«, sagte Nemecsek. »Das kommt dann noch hinzu. Mit dieser Gemengelage ist auch Benjamin Ruben mehr als bedient. Hören Sie zu: Peter Adel wird sich doch was gedacht haben, als er Sie mit dem Benjamin besetzte. Ich kann gut verstehen, was er sich gedacht hat. Ich denke dasselbe: Spielen Sie ihn vom Blatt!«
»Ich will ihn eigentlich nicht machen. Das ist mir jetzt klar.«
»Statt durch das Fernrohr zu schauen, verwenden Sie es als eine Art Megafon, und sprechen Sie durch es durch einfach auf die Figur drauf.«
Florence lachte.
»Das haben Sie davon. Wegen dieses Satzes hat es sich gelohnt, extra von Wien –«
»Ich bin nicht extra gekommen. Ich habe ohnehin nach Berlin müssen.«
»Na dann«, sagte Florence. »Zoltán, es wird Zeit.«
Karl Fraul verabschiedete sich und ging wieder die Pariser Straße hinauf. Beim Caruso in der Uhlandstraße nahm er einen Cappuccino und hernach begann er sich einzutrinken. Er hoffte, Claudia mit dem Stinkefinger im Verlauf des Abends wiederzusehen, oder ihre Zwillingsschwester. Er wusste nicht mehr, wie er zur Pension zurückfand. Am nächsten Tag versäumte er seinen Rückflug. Er buchte die nächste Maschine und wartete. Er stellte sich seinen Vater als willfähriges Subjekt vor, der ständig versuchte, es
allen recht zu machen. Beim Rückflug schlief er ein und träumte, dass ihn Nemecsek und Katharina Dronte am Flughafen Schwechat mit einem Streichertrio abholten. Als er in die Ankunftshalle trat, gaben die beiden das Zeichen, und das Trio spielte kratzend und gurgelnd Katzenmusik. Er erwachte, als die Maschine in Schwechat aufsetzte.
21.
»Der lange Arm von Margit.« Guido Messerschmidt sagte sich diesen Satz Inge Hallers vor, wenn er in sich seine Sympathie für Margits Bruder spürte. Er sprach mit dem Stimmspezialisten Alexander Schurin über Stefan. Schurin war sofort bereit, sich den jungen Keyntz anzuhören, er war dessen Vater in Freundschaft verbunden gewesen. Inge Haller beobachtete die Bemühungen Messerschmidts um Stefan bloß aus der Ferne, immer mehr schloss sie sich in ihren vier Wänden ein, um den Klängen ihres erfolgreich verpfuschten Lebens nachzuhorchen. Der Kontakt zu Guido war das Einzige, was sie außerhalb ihrer Arbeit mit der Außenwelt verband. Ihre Nächte waren mit flackernden Träumen durchsetzt, die wie alte Filme blitzende Sterne zeigten und an den entscheidenden Stellen rissen. Zumeist beugte sich Guido im plüschenen Bademantel über sie, streifte mit seinen Lippen ihren Hals, ihre Brüste. Sie drehte sich auf den Bauch und spürte seinen Mund auf dem Gesäß. Bevor Guido aber aus dem Bademantel glitt, war sie aufgewacht und fand sich wie ein Fragezeichen verschwitzt und fröstelnd zugleich in ihrem schmalen Bett. Oder Margit ist mit ihr auf Wanderungen im Wechselgebiet gewesen, sie tranken Tee in Kirchberg und gingen früh schlafen.
Sie flüsterten sich noch ihre Gedanken über den Tag
Weitere Kostenlose Bücher