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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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Scherfele, nachdem er auf ihr Nicken mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand einen Kreis gebildet hatte, »herrlich, Astrid.« Schönn drehte sich langsam zu Rüdiger, lächelte etwas: »Du nimmst ihr das ab? Seltsam.«
    Astrid, die im Begriff war abzugehen, stockte in der Bewegung. »Wie? Das heißt, du nimmst mir das nicht ab?«
    »So ist es eben.«
    »Also, Dietger, das war doch schon mehr als ordentlich.«
    »Sie ist die beste aller gewöhnlichen Ladys, die wir schon hundertmal gesehen haben. Meine Lady ist sie nicht, das ist keine Liebende.«
    »So? Ich bin keine Liebende?«, schrie Astrid von der Probebühne herunter, hob ihren Kopf und ging in Positur. Sie zitierte: » Wenn die versoffenen Naturen dann im Sauschlaf liegen wie im Tod – was können du und ich dann nicht dem unbewachten Duncan tun und seinen vollgesoffenen – Soll ich da den
Göttergatten anhimmeln in Liebesglut, oder wie sehe ich das?«
    Dauendin kam von hinten zur Bühne vor, angetan mit einer zu kleinen Krone am Schädel. Die nahm er ab, griff der Astrid auf die Schulter, begann zu tätscheln.
    »Beruhige dich, Schönste. Sind wir fertig heute?«
    Schönn nickte, und ein Grinsen überzog sein Gesicht. »Matter Macbeth, Felix.«
    »Was ist denn jetzt wieder los?«
    Schönn stand auf und ging nun wie vorhin Scherfele durch die Sesselreihen. »Zum hundertsten Mal der schwächliche Macbeth, den seine ehrgeizige Frau aufstachelt. Kein Liebender, kein gottverdammter Liebender. Nix.«
    »Felix schält noch daran«, sagte Scherfele und zwinkerte zu Dauendin hinauf. Der aber nahm Astrid am Arm und ging stumm von der Bühne weg. Astrid machte sich los und blieb stehen.
    »Ich möchte noch zugucken.«
    »Aha. Gut, gut. Geh hin, liebendes Weib, glutvolle Lady, begaff dir den Fraul.« Er gab ihr einen Kuss auf den Scheitel, ballte die Faust Richtung Zuschauerraum und ging. Astrid stand noch eine Weile unschlüssig hinter den Pappkulissen, schließlich, nachdem sie sich etwas erfrischt hatte, erschien sie und setzte sich etwas entfernt von Scherfele und dem nun wieder hinter seinem Regietisch hockenden Schönn. Ein Assistent erschien: »Fraul und Dünster sind standby.« 
    Schönn schaute auf Scherfele, der klatschte in die Hände. »Dritter Akt, dritte Szene.«
     
    Am Vortag hatte Scherfele in der Kantine der Probebühne mit Dünster und Fraul diese Szene durchbesprochen. Es sei die Frage, ob Malcolm mit seiner wilden Schilderung über
seine schlechten Eigenschaften den getreuen Macduff bloß testen wollte oder ob die nämlichen Eigenschaften, die bekanntlich die schändlichsten von Macbeth noch übertrafen, in ihm wirklich vorhanden waren und er nicht nur Macduff, sondern gleichsam sich selbst vor der Übernahme der Königsgewalt warnen wollte, nachdem sie gemeinsam den Duncanmörder Macbeth getötet hatten. Und Scherfele schlug die Brasch-Übersetzung auf, blätterte mit heißem Finger hin zur Szene und begann vorzutragen, nicht ohne dass sich seine Stimme gelegentlich zur Mimenstimme anhob, sodass ein gewisses Pathos links und rechts an den vorgetragenen Wörtern herausquoll und hinunterrann.
    »Also, da die erste lauernde Sequenz.
    Macduff sagt: Verräter bin ich nicht .
    Darauf du, Fraul: Macbeth ist es.
    Könnt sein: Ein guter Mensch voll von Moral
    wird schwach, wenns Könige befehln, verzeiht:
    Das, was ich denk, kann dich nicht ändern.
    Die Engel leuchten auch, wenn stürzt der hellste.
    Wenn alles Böse auch wie Gut aussäh,
    säh alles Gute trotzdem ganz genauso aus.
    Und Dünster: All meine Hoffnungen habe ich verlorn.
    Und wieder du, Karl:
    An jener Stell vielleicht, wo ich mein Misstraun fand.
    Warum hast du verlassen Frau und Kind
    so unbedacht, dies starke Liebesband,
    ganz ohne Abschiedsworte. Ich bitte dich … «
    Fraul unterbrach den Dramaturgen: »Wieso weiß ich, dass er seine Leute ohne Abschiedsworte verlassen hat? Hab ich Spione in Schottland, oder sitzt ein zweites Ich von mir bei den Macduffs auf der Türschnalle?«
    Scherfele hob den Kopf. Dünster lachte und sagte: »Der
Shakespeare wird sich schon was gedacht haben. Ist dir das wichtig?«
    »Was ich von mir geb, ist mir wichtig«, sagte Fraul. Ihn beschlich, während er das locker hinwarf, das Gefühl, dass dieser Dünster ihm nicht grün sei. Der glaubt, ich will mich wichtigmachen, dachte er. Ist ja auch wahr. Der Scherfele soll sehen, dass ich mir was denk, und ich denk mir auch was.
    Scherfele nickte beiden zu und fuhr fort vorzulesen:
    » Ich bitte

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