Der Kalte
entschlossen dem Vergangenen stellten und damit – wie er selbst – die Gegenwart durchdrangen. Seine Frau verschonte er, sie wusste ohnehin Bescheid, sie vertrug den Umgang mit der Shoa schlecht, er respektierte das, auch wenn er sich in seinem Inneren darüber klar zu sein schien, dass mit Rosa kein Kampf gegen die Wiederkehr des Barbarischen geführt und gewonnen werden konnte. Sie war und blieb eine unpolitische Jüdin, die eben unverschuldet zu ihrem Schicksal gekommen war, indes er doch als Kämpfer gegen das Unrecht selbstverständlich sein Schicksal auch herausgefordert hatte und ohneweiters vor sich und anderen verantwortete. Es war ihm gelungen, seinerzeit, als die SS ihn von den Vichyfranzosen übernahm und nach Dachau ver
brachte, seinen jüdischen Vater zu verbergen, er wusste selber nicht, wie das kam, er wurde jedenfalls in Dachau als österreichisch-rotspanischer und kommunistischer Arier verbucht und blieb dies auch nach seiner Überstellung zum Standortarzt Wirths nach Auschwitz. Denn dieser Eduard Wirths hatte ihn in Dachau kennen und als besonnenen politischen Funktionshäftling schätzen gelernt. Nun traf er ihn wieder in Auschwitz und machte ihn zu seinem Schreiber. Von da her hatte er damals und später einen guten Überblick über Menschen, die sich auf diese oder jene Weise im Shoamoloch befanden und verstrickten und kämpften, verendeten und überlebten.
Er war also der richtige Mann am richtigen Platz. Er fand, so war es bei ihm von Anbeginn.
Rosa war die richtige Frau am falschen Platz. Das war ihr zur zweiten Natur geworden. Sie lebte gut damit im gemeinsamen Spindelwerk. Als ihr Eigenes hatte sie die Liebe zu Büchern, zur schönen Literatur. Was immer darin passierte, es konnte sich in ihre schroffe und chaotische Gedankenwelt einfügen und diese sogar bisweilen pazifizieren. Sie fühlte mit all ihren Fasern, dass die Literatur nicht das Böse ist, sondern sich bloß an die Stelle des Bösen zu setzen verstand. Dies beruhigte sie, und so konnte sie in den Romanwelten sich als Überlebende immer wieder erproben, während sie im eigenen Alltag, und das wusste sie schmerzvoll, auf den Schirm und Schutz von Edmund angewiesen blieb. Auch in der Buchhandlung war es ihr mit Edmunds Hilfe seinerzeit gelungen, diesen besonderen Platz bei Hugo Sillinger einzunehmen, wo sie überdauern und mit den Büchern leben konnte.
Dennoch wäre sie im Verlauf der Nachkriegszeit am Ameisenhaufen in ihrem Kopf zugrunde gegangen, sie wäre ih
rer Freundin Gusti zu gerne gelegentlich nachgefolgt, wäre nicht nach deren Freitod und mit Edmund noch ein weiteres Ereignis in ihr Leben getreten. Der neunzehnsechzig geborene Sohn machte in ihr alle Zusammenbrüche unmöglich, und so versuchte sie seither dem Sohn einen Lebenssinn zu stiften, von dem sie selbst keinen Begriff hatte. Sie musste sich darauf beschränken, das Kind zu lieben und ihm durch eine unbedingte Zuwendung zu einem lebenstüchtigen Selbstbewusstsein zu verhelfen. Edmund erkannte dies von Anbeginn, und deshalb genoss Rosa seine Achtung, die für ihn Liebe war.
Diesen Donnerstag traf sie ihren Sohn weder in der Aida noch beim Heiner, sie fuhr mit der neuen U-Bahn zum Schwedenplatz, um nach raschem Gang über den Laurenzerberg und durch die Postgasse Karel im Windhaag zu treffen. Ich saß einige Tische entfernt und beobachtete Frau Fraul, wenn ich nicht in einem Dossier über den Generalsekretär der UNO , der sich nun anschickte, österreichischer Bundespräsident zu werden, las und Stellen markierte. Karl Fraul betrat das Windhaag, sah mich sofort, ging an seiner Mutter vorüber zu mir her. Rosa war aufgestanden und blickte zugleich ihm nach und mir ins Gesicht.
»Servus, Apolloner«, sagte Fraul und schlackste mir seine Rechte hin. »Danke, dass du mir die Zischka auf den Hals gehetzt hast.«
»Ich? Und wenn?«
»War okay, die Tussi wird im Vorfeld von Macbeth fürs Signal schreiben.«
»Ist doch was.«
»Habe ich nicht eh danke gesagt? Du, meine Mutter wartet, also dann.«
Er drehte sich um, aber Rosa stand schon hinter ihm. Ich erhob mich hastig, sodass der Kaffeelöffel vom Wasserglas fiel.
»Mama, das ist mein Freund Roman Apolloner, seit kurzem ein Zeitgeschichtler, welcher den Vater interviewt hat. Das ist meine Mutter.«
Frau Fraul gab mir lächelnd die Hand. Ich sagte: »Ist mir eine Ehre.«
Rosa runzelte für einen Moment die Stirn, dann lächelte sie. Ich verbeugte mich, ließ ihre Hand los, und die beiden gingen
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