Der Kalte
Stiegenhaus zu schimpfen. In der Schadekgasse schnauzte er Hildegard an und forderte sie auf, ihn mit dem Bürgermeister zu verbinden.
»Da ist er«, sagte sie und reichte ihm den Hörer.
Nachdem Krieglach einige Minuten in den Apparat gebrüllt hatte, Purr hielt seinen Hörer anfangs weg vom Ohr und schaltete hernach auf laut, sodass Krieglachs Stimme
in die Vorzimmer und in drübere und druntere Stockwerke drang.
»Die Erklärung ist einfach«, sagte Purr, nachdem sich Krieglach heiser gebrüllt hatte, »unmittelbar nach dem Einmarsch Hitlers begannen bekanntlich die Drangsalierungen der jüdischen Bevölkerung mit Straßenwaschen undsoweiter.«
»Den Juden gibts doch eh bei mir, du weißt es.«
»Ja«, sagte Purr ernst, »diese Krötenfigur. Neben dem großen Monument den kleinen knienden, schrubbenden Juden. Du kannst dir denken, dass die Israelitische Kultusgemeinde«, Purr sprach diese zwei Wörter akzentuiert aus, »nicht an diese Demütigungen erinnert werden will. Weil dein Kunstwerk auch ein Antikriegsdenkmal ist, Gott sei Dank, ist der erste September geeignet. Das will ich mit dir nicht diskutieren. Das ist mit allen Maßgeblichen paktiert. Auch die Schwarzen geben nach.«
»Ich bin der Maßgebliche«, sagte Krieglach leise.
»Nein, Herbertl. Bist du nicht.«
»Die Juden also«, sagte Krieglach.
»Sei vorsichtig, was du jetzt sagen willst.«
»Ach was! Ich sage, was ich schon meiner Emmy gesagt hatte: Die überlebt habenden Juden müssen auch Demut lernen.«
»Zum dreizehnten März müssen sie gar nichts. Das diskutiere ich nicht.«
»Ich nehme die Kröte weg.«
Purr sagte nichts. Sie atmeten beide schwer.
»Nein. Ich nehme sie nicht weg. Ich hab eine Idee.«
Krieglach wechselte den Hörer zum anderen Ohr.
»Ich habe eine sehr gute Idee.«
»Lass hören«, sagte Purr müde.
»Das Werk ist noch nicht vollbracht.«
»Verstehe ich das so, dass du mit dem ersten September neunundachtzig einverstanden bist?«
»Ist mir egal.«
Krieglach legte auf. Hildegard hatte zugehört.
»Worüber freust du dich, Herbert?«
»Geht dich nichts an. Hör zu!«
Schönn setzte eine Pressekonferenz im Landtmann an, bei der er die Programmänderung für die Spielzeit neunzehnsiebenundachtzig/achtundachtzig bekanntgab. Der als Großkritiker bezeichnete Achim Habersatter hatte sich herabgelassen zu erscheinen, obwohl er von den ständigen Neu- und Umprogrammierungen des Schönn nichts hielt. Diese seien der organisatorische Spiegel dessen, was man von diesem Direktor auch auf der Bühne zu sehen bekomme. Überhaupt neigte Habersatter dazu, in den Chor der wütenden Anhänger der früheren Burg einzustimmen, nachdem er einige Zeit hindurch den neuen Kurs wohlwollend begleitet hatte. Solange Schönn auf der Bühne Umschichtungen, die man neuerdings auch Dekonstruktionen nannte, organisiert und zugleich Intensität und Textgenauigkeit mit wallfahrender Phantasie verknüpft hatte, folgte ihm Habersatter, warnte allerdings auch gelegentlich, dass diese Wallfahrten im realsozialistischen Absurdistan ihren Gral finden könnten. Je radikaler Schönns Politisierungen auf der Bühne wurden, desto mehr bedeckte Habersatter seine Augen und entlockte seiner Edelfeder pöbelhafte Ausdrücke, die sich von den Schimpfereien des Moldaschl bloß durch eine gewisse Kringelhaftigkeit unterschieden. Schließlich marschierte er in einer Front mit den Josefstädter Bandelkramern, benannt nach der Anführerin der Antischönnbewegung, die ein konservatives Kleidermodengeschäft in der Piaristengasse führte.
Schönn sah Habersatter, ging vor Beginn der Pressekonferenz zu ihm hin und schüttelte ihm die Hand.
»Sie werden sich riesig freuen, Herr Doktor Habersatter«, sagte er laut. »Bin beglückt, Sie wieder mal zu sehen.«
Habersatter lächelte schwach, erwiderte den Händedruck kaum, was Schönn dazu brachte, unmittelbar nach diesem Gruß seine Rechte anzuschauen und dann die Finger auszuschütteln.
»Er gibt mir so ungern die Hand«, wandte sich Schönn ans Auditorium, ging zurück, setzte sich vor die Journalisten hin, wartete, bis Rüdiger Scherfele neben ihm Platz genommen hatte, setzte seine Brille auf und las, was er zu sagen hatte, vom Blatt.
Er kündigte den HEILSBRINGER von Zoltán Nemecsek für das Frühjahr an, nannte den Premierentermin, sprach über die Besetzung, erwähnte mit keinem Wort, warum die Proben unterbrochen worden waren. Auch auf entsprechende Fragen ging er nicht ein.
»Zum Spielplan dieser
Weitere Kostenlose Bücher