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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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mit einem Gefühl vollkommener Zerfledderung der neuen Saison entgegen. Wir nahmen die Proben zum HEILSBRINGER von Nemecsek wieder auf.
    Karel kam ein- oder zweimal mit mir in die Grillparzerstraße, wir schliefen zur Einweihung miteinander, aber es war, als hätte sich seine Haut mit einer Eiskruste überzogen. Ich kam mir vor, als müsste ich um jeden Blick betteln, es war unwürdig und demütigend.
    Mein Felix hatte sich nun mit Judith zusammengetan, sie ist bei uns eingezogen, sie ist bei ihm eingezogen, das Kind liegt in meinem Zimmer, es schaut jeden Tag auf meine Pappel.
    Die Grundübung von Fraul ist über den Sommer die gleiche geblieben. Er motzt rum, spielt den Ruben entweder als Automaten oder als greinendes Kind, nur nicht, wie es die Rolle verlangt. Wir stehen allesamt um ihn herum, versuchen ihm zu helfen, dass er sich wenigstens annähert, aber tote Hose. In mir stieg ein derartiger Widerwillen gegen Karl hoch, dass mir übel wurde, wenn ich mir seine trotzig-kindische Visage bloß vorstellte. Ich hatte die Rolle der Esther angenommen, leider, leider, ich bin die jüdische Fürsorgerin, eine, die immer versucht, Kompromisse mit der deutschen Besatzung schönzureden und den Judenältesten zu stützen. Mit Vesely geht es glän
zend. Es ist ein Vergnügen, mit diesem Griesgram zu arbeiten.
    Also Fürsorgerin auf der Bühne, Fürsorgerin in meiner Beziehung, dass ich nicht röhre, Beziehung …, ich merke, dass meine Stimme rau wird, vor allem auf der Bühne klingt aus mir ein feldwebelhafter Ton. »Baue dir einen sachlichen Engel«, sagte Peterchen und warf den Kopf zurück. Das tat er immer, wenn ein Einfall ihn selbst begeisterte.
    Als ich heute früh erwachte, stand mir deutlich vor Augen, dass Karl im Begriff war, mich zu zerstören. Ich muss ihn aus dem Stück werfen. Ich beschloss, sofort mit Peterchen zu reden. Beim Duschen wurde mir schlecht, mit brennendem Magen besah ich mich im Spiegel. Astrid, du blöde Schnalle, du alterst im selben Tempo, in dem Mama verkalkt. Du kannst keinen Mann halten, vorbei. Klar, haben wollen sie mich alle. Wundervoll, die große von Gehlen im Bett zu haben. Klasse. Super. Mich meinen die nicht. Schon lang nicht mehr. Für Karel war ich bloß ne Sprosse. Nee, das stimmt so nich, das hätte ich doch merken müssen, auf seine Art – ach was, welche Art, er ist einfach doch so ein Arschloch, wie seine Margit schon richtig bemerkt hatte. Dem zeig ich jetzt mal was. Den kipp ich aus dem Stück. Ich bin immer noch die Astrid von Gehlen und nicht irgendeine Tussi.
    Die Übelkeit war wie fortgeblasen, ich frühstückte im Landtmann, schlenderte gemächlich ins Haus, fragte Rüdiger nach Peter. Der saß in der Kantine und blätterte in seinem über und über buntbeklecksten Regiebuch, trank ein kleines Bierchen, das wunderte mich.
    »Da bist du«, sagte er, küsste mich laut auf beide Wangen.
    »Hör zu«, sagte ich ohne Umschweife. »Ich kann mit dem Fraul nicht mehr. Ich kann nicht privat, ich kann nicht auf
der Bühne. Glaube mir, ich habs versucht, versucht, versucht.«
    »Nein, was wird denn das wieder?«, begann er mich sofort mit verzerrtem Gesicht anzujaulen.
    »Keine Widerrede, mein Entschluss steht. Er oder ich. Gib mir ne Zigarette!«
    »Ich hab keine.«
    »Seit wann hast du keine Zigarette für mich? Hattest du doch immer.«
    »Schluss, Frau von Gehlen. Sie spielen, Fraul spielt. Ich lass mich weder von dir noch von ihm ficken.«
    »Ich bin durch«, sagte ich ihm entschlossen, während unter dem Tisch beide Knie zu zittern begannen. Adel erhob sich, schaute mich an, als wollte er mir ins Gesicht spucken, ich wich etwas zurück. Er nahm meinen Arm.
    »Gehen wir rauf zu Dietger.«
    Bei Schönn legte er sofort los. »Rette mich vor dieser Megäre«, sagte er und schmiss sich in einen Stuhl.
    »Nanu? Raus aus meinem Büro.«
    »Im Gegenteil«, sagte ich, stellte mich vor Schönn. »Dietger, schmeiß den Fraul raus und nimm stattdessen den jungen Kriehuber. Karl will die Rolle nicht, aber er gibts nicht zu. Karl schikaniert alle, ich kann mich nicht mehr konzentrieren, er entlockt mir, ohne dass ich was machen kann, Töne, die nicht zur Figur passen, er konterkariert mich, er machts einfach, es ist ihm schnurz, er ist ein –«
    »Seit wann«, unterbrach mich Schönn, »vermischst du –«
    »Ich vermische nichts«, sagte ich schnell. »Und falls doch? Es ist wurscht. Er oder ich.«
    Schönn sah auf Adel. Der betrachtete seine Fingernägel, stand auf, sah mich

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