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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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Saison gehört es nicht, aber mit Vergnügen kündige ich Ihnen die Premiere des neuen Stückes von Raimund Muthesius an, welches am neunten November neunzehnachtundachtzig Uraufführung haben wird. Ich inszeniere, in den Hauptrollen Dauendin, von Gehlen, Gruber, Dünster und die Angela König, welche sich erstmals bereit erkärt hat, in einer Inszenierung meiner Wenigkeit mitzuwirken. Ich freue mich.«
    Gemurmel und Erstaunen bei den Journalisten, denn die König hatte wie Vesely zu den Hauptgegnern im Ensemble gehört und musste zu Schönns Anfängen in Wien hochbezahlt spazieren gehen. Habersatter wollte wissen, wie das Stück heißt und warum es ausgerechnet am neunten November uraufgeführt werde. Schönn nickte zu dieser Frage, nannte den Titel des Stücks, VOM BALKON , und ließ die zweite Frage unbeantwortet.
    »Darf ich Ihr Schweigen dahingehend interpretieren, dass Sie und Muthesius zum Jahrestag der Kristallnacht eine Geschmacklosigkeit vorhaben?«
    »Wir werden«, antwortete Schönn, »zum Jahrestag der Reichspogromnacht das neue Stück von Muthesius uraufführen, jawoll.«
    Übernächsten Tag erschien im Telegraph eine Polemik Habersatters gegen das neue Burgtheater, das wiederum dem Erzpolemiker Muthesius Gelegenheit gebe, seinen Unrat und seinen Österreichhass auf das Volk zu schütten.
    Martin Moldaschl begnügte sich mit einem Absatz:
    »Der Rheinländer und der Oberösterreicher bereiten einen Skandal im sogenannten Bedenkjahr an der Burg vor. Wenn dieses Jahr, welches eigentlich an den Verlust der Selbstständigkeit Österreichs erinnern sollte, zu einem Bedenkjahr umgemünzt wird, bei dem die österreichische Kriegs- und Aufbaugeneration insgesamt an den Pranger gestellt werden wird, darf der Oberdeutsche nicht fehlen. Angeführt von den Berufsprotestierern des sogenannten Anderen Österreichs, klammheimlich unterstützt von den Roten unter dem neuen Häuptling und Salonbolschewiken Fritz Habitzl, ›begleitet‹ nicht nur mit Sympathie von gewissen Kreisen im überseeischen Ausland, muss nun auch die zu einem Politschmierentheater heruntergekommene Burg ins allgemeine Halali einstimmen. Was die allseits geschätzte Kammerschauspielerin Angela König in einem Stück von Muthesius verloren hat, bleibt uns einfachen und schlichten Gemütern ewiglich ein Rätsel. Welchem Druck wird sie wohl ausgesetzt sein? Das Bedenkjahr, ohnedies bloß ein Demagogenspektakel, wird wohl vorübergehen und mit ihm hoffentlich der ganze Spuk, meint – sich verwundert die Augen reibend – Ihr Kampl.«
     
    Angela König bekam einen Tobsuchtsanfall, als sie in der Garderobe Moldaschls Artikel las. Sie wollte es ihrer Kollegin Dorsch gleichtun, die einst einem Kritiker eine Ohrfeige versetzt hatte, Moritz Vesely redete auf sie ein.
    »Hör zu, Angela. Wir haben uns jetzt die falschen Freunde eingehandelt. Du und ich wissen, warum wir den Schönn abgelehnt haben. Du und ich wissen, dass er die Burg zu einem gewöhnlichen Agitproptheater herabgewürdigt hat, dass wir es mit unserem künstlerischen Gewissen nicht vereinbaren konnten, und so fort. Das da«, und Moritz schlug auf den Artikel in der Stunde, »hat mit unseren Beweggründen garnix zu tun. Beim Muthesius hast du eine tolle Rolle, es geht, wie bei ihm immer, ums österreichische Duckmäusertum. Was regst du dich auf? Ich beneide dich, ich darf bei ihm grad den Theseus machen, auch schon was.«
    Angela umarmte ihn. »Wenn ich dich nicht hätte, Moritz, was tät ich noch auf diesem Theater?«
    »Schon recht. Du hast mich ja.«
    Und wen habe ich, dachte er, als er ihre Garderobe verließ. Schönn, der soeben zur König eilte, um sie zu beruhigen, fasste den an ihm vorbeigehenden Vesely am Ellenbogen.
    »Apropos, Moritz. Muthesius hat für dich eine kleine, feine Rolle hinzugefügt. Sei so gut, hole dir den Text bei Rüdiger.«
    »Was für eineRolle?«
    »Den Chef der Burghauptmannschaft.«
    »Kurios! Bin neugierig!« Während Schönn die Garderobe der König betrat, stieg Vesely die Stufen hinauf zur Dramaturgie. Den Schönn habe ich im Sackerl, dachte er. An mir führt eben kein Weg vorbei.
    28.
    Kaum hatte ich mich in der Grillparzerstraße ein wenig eingerichtet, kaum war ich aus Deutschland zurückgekommen, wo meine Mutter mir unter den Händen verkalkte, erfasste mich eine Traurigkeit, die ich nicht an mir kannte. Ich saß unter meinen Möbeln in der neuen Wohnung, schaute vom Balkon aufs Burgtheater und dachte: Astrid, was tust du? Ich hockte da und harrte

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