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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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ein Ärger stieg in mir hoch. »Das ist ja die ganze Geige, dass sie bearbeitet und traktiert werden muss, bis du ihr Melodien entlocken kannst. Was ich für Blödheiten anstellen musste, bis mir
eine Verszeile gelang, wenn überhaupt. Man zahlt für alles. Es ist das sogenannte Seelengeld.«
    Der Ärger offenbarte mir, dass ich voller Belehrungen steckte. Ich bin kein Poet, ich bin ein Lehrer.
    »Entschuldige. Ich wollte dich nicht belehren.«
    »Ich empfinde dich nicht als Lehrer. Du kommst mir eher vor wie ein Handlungsreisender in Konflikten. Kaum steht einer in seinem Dreckhaufen, kommst du und bietest eine Schaufel an.«
    »Und meine Gedichte?«
    »Du solltest einmal ein Stück für mich schreiben.«
    Wir lachten und umrundeten das Lusthaus.
    »Was macht die Efef?« fragte ich ihn, als wir unter den Kastanienbäumen zurückgingen.
    »Efef?«
    »Frauenfront.«
    »Dass du mich das ausgerechnet jetzt fragst.«
    »Was Neues im Busch?« Karl nickte und lächelte.
    »Und die von Gehlen?«
    »Die weiß nix. Außer dir weiß niemand davon.«
    »Ich sage es niemandem außer meinen fünfzig Freunden.« 
    Wir gingen zurück in die Meierei, setzten uns unter einen Schirm und sprachen, bis die Sonne unterging und ein kühler Wind aufkam.
    27.
    Nach dem Tod von Emmy hatte sich Herbert Krieglach einige Tage in seinem Atelier verkrochen. Außer Hildegard ließ er niemanden an sich heran, sie saß ihm bei, wenn er vor seinen Bildern hockte und sich mit Schleiern vor den Augen in den Konturen verlor.
    Zum Begräbnis war er im schwarzen Anzug mit dunkelroter Krawatte erschienen. Neben ihm ging die der Öffentlichkeit unbekannte Hildegard. Sie trug ein schwarzes Kostüm und sah aus, als wäre sie die jüngere Schwester der Verstorbenen. Sie stand neben Krieglach, als der die Kondolenzbezeugungen entgegennahm, nachdem der Sarg in die Erde gelassen worden war. Purr nickte ihr zu, die anderen gaben ihr automatisch die Hand.
    Vierzehn Tage nach dem Begräbnis zog Hildegard Binswanger, eine Schweizerin, die seit einigen Jahren in Wien lebte und in der Galerie Winckelmann nächst Maria am Gestade beschäftigt war, bei Krieglach ein.
    Während er im Atelier Studien von einer Sterbenden auf der Parkbank anfertigte und wieder zerriss, packte die Binswanger sämtliche Sachen von Emmy zusammen und ließ sie von der Caritas abholen. Sie stellte die Möbel in der Schadekgasse um, besorgte neues Geschirr, malte selbst aus, fuhr abends zu Herbert ins Atelier.
    Nach weiteren vierzehn Tagen war Hildegard an Emmys Stelle getreten. Krieglach erschien mit Hildegard bei seinem Galeristen Helfried Teiler wie früher mit Emmy. Er begann auch die »Hüde« in aller Öffentlichkeit zu kommandieren, und hätte er sie nicht gelegentlich an fortgeschrittenen Abenden Emmy genannt, hätte Krieglachs Umgebung keine Erinnerung mehr an seine Frau gehabt. Die steirischen Verwandten von Emmy wandten sich von Herbert ab, ein Cousin fütterte den Erzfeind Martin Moldaschl mit Informationen über Krieglachs Herzenskälte.
    Den Bildhauer focht das nicht an. Er nahm seine Arbeit wieder auf und begann die Serie Totentanz in Kakanien. Gleichzeitig wurde er bei der Kulturstadträtin Ebner vorstellig, scharrte vor ihrem Schreibtisch ironisch mit den Fü
ßen und bat um einen Termin zur Aufstellung und Einweihung seines Denkmals.
    »Dreizehnter März«, sagte er. »Keinen Tag später.«
    Hedwig wiegte den Kopf, dann schüttelte sie ihn.
    »Hat Schorsch noch nicht mit dir geredet?«
    »I wo. Hat er nicht. Was gibts noch zu reden. Dreizehnter März. Passt doch!«
    So ein Feigling, der Schorsch, dachte sich die Ebner. Sie stand auf, ging um den Schreibtisch herum, stellte sich Krieglach gegenüber auf, sah ihn von unten ins Gesicht und sagte leise:
    »Erster September.«
    »Da war gar nichts.«
    »Beginn des Zweiten Weltkriegs.«
    »Neununddreißig.«
    »Eben. Nächstes Jahr zum fünfzigsten Jahrestag.«
    Krieglach sah erstaunt auf ihr Gesicht hinunter.
    »Nicht losbrüllen«, sagte sie. »Wegen Emmys Tod hat es Schorsch verschoben, dich davon zu informieren. Ich könnte dir nun eine Menge von Gründen nennen, warum die Errichtung vorher nicht möglich und von gewisser Seite auch nicht erwünscht ist. Das soll dir Schorsch aber selbst erklären. Wozu ist er der Bürgermeister?«
    Krieglach sah aus, als wollte er der Kulturstadträtin eine Ohrfeige geben. Sie ging auch zwei Schritte zurück, zuckte mit den Achseln. Er drehte sich um, verließ ihr Büro und begann im

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