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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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fast zärtlich an.
    »Wenn ich von zwei Übeln eins wählen soll«, sagte er und besprühte mein Gesicht, »dann wähle ich keins. Dietger,
ich lass es. Ich lass es einfach. Ich nehme meine Margot und fahr nach Hamburg.«
    Ich zog mein Taschentuch heraus, wischte mir übers Gesicht. Die Übelkeit kam zurück.
    »Ich akzeptiere«, sagte Schönn schnell. Adel schaute ihn erstaunt an. »Und ich hab zu tun. Wenn ihr entschuldigt …« 
    Wir gingen die Stufen hinunter.
    »Und jetzt?« Ich nahm an, Adel ist auf immer gekränkt und wird den Schönn nie mehr grüßen.
    »Dein Problem.« Er kicherte, verließ das Theater.
    Ich ging zurück ins Landtmann. Nach einer halben Stunde fühlte ich mich so beschissen, dass sich alles in mir zusammenkrampfte. Ich rannte runter zur Toilette, schloss mich ein und heulte los. Die Toilettenfrau konnte mich sicherlich hören, aber das war mir egal. Beim Heulen kam mir das Essen hoch. Ich musste mich neben die Muschel hinknien und kotzte alles, was es an Menü gab, heraus. Zurück an meinem Tisch, saß Schönn dort. Er nickte, als ich mich niedersetzte. Er beugte sich vor, nahm meine Schultern und schüttelte mich schwach. Er lächelte.
    »Ich lass dich raus.«
    »Du beharrst auf dem Fraul?«
    »Ich lass dich raus.«
    »Ich danke dir. Scheiße.«
    »Ich muss überlegen. Das wärs.«
    Er ließ mich im Landtmann zurück. Alle lassen mich. Mir ist öde, einfach nur öde zumute.
    Abends rief mich Felix an.
    »Sollen wir dich besuchen kommen?«
    »Du würdest mir genügen.«
    »Ah gut. Okay. Ich komme.«
    Wir redeten lange. Es tat mir gut. Als er mir, bevor er ging, mitteilte, dass Schönn ihm gesagt hatte, Nemecsek über
nehme die Regie, war ich ganz froh. Denn das Stück ist großartig. Doch nachts nagte es an mir. Fraul hatte gewonnen. Fraul hatte mich herausgekickt. Ich bin nix, garnix. Ob ich die Burg insgesamt hinschmeiße?
    29.
    (Aus dem Tagebuch des jungen Keyntz)
6. 10. 1987
    Gestern ist Dolores abgeflogen. Ich vermisse sie schon. Es ist ein Wahnsinn.
    Zu den hohen Feiertagen ist sie mit ihren Alten nach Wien gekommen. Ich hatte sie am Flughafen abgeholt, Rosen in der Hand, eine Stunde gewartet, EL AL eben. Sie sind herausgekommen, die Eltern haben mich geküsst und sind weitergegangen und haben mich mit Dolly allein gelassen. Es waren zwar hundert Leute um uns, aber wir haben uns toll umarmt. In mir ist eine Melodie aufgestiegen, gleichzeitig hats geflattert im Bauch, und ich hab einen Ständer bekommen, sie hat ihn gespürt und mir unter die Jacke gegriffen und mich in den Hintern gezwickt.
    Sie ist am selben Abend zu mir in die Hardtgasse gekommen. Mutter war vorher da und hat mir beim Aufräumen geholfen. Dolores hat sich nachher zum Pianino gesetzt und bissl herumgeklimpert.
    Ich war mit ihnen bei Rosch ha-Schana in der Synagoge. Ernst Segal hat dort anscheinend einen Stammplatz, ich durfte neben ihm sitzen. Die haben jetzt irgendein Fünftausenderjahr. Zu Jom Kippur hat mir die Dolly gesagt, bräuchte ich nicht mitgehen, da darf man über vierundzwanzig Stunden weder was essen noch trinken, sich nicht waschen. Sie selbst fastet diesmal, früher hat sie das nicht
gemacht und auch ihre Alten nicht. Wird man in Israel religiös?
    Wir waren viel zusammen und im Kino, im Konzerthaus, Hagen Quartett, ich habe ihr vom Singverein erzählt und wollte sie auf eine Probe für das Brahmsrequiem mitnehmen, aber das wollte sie nicht, sie mag keine Requien. Irgendwie war ich deswegen sauer, aber ich habe es mir nicht anmerken lassen.
     
    7. 10.
    Gestern wieder Probe. Schurin hat auf einmal gesagt, die kräftigen Stimmen etwas leiser, und hat mich angeschaut. Vor allem beim ersten Baritonsolo reißt es mich immer so mit, wenn der Chor einsetzt, dass ich herauszuhören bin. Guido hat gesagt, wichtig ists, den anderen zuzuhören. Das gilt nicht nur beim Singen. Ich hab dem Tschurtschi von den Tagen mit Dolly erzählt, das heißt zu erzählen versucht. Wir haben uns wie in früheren Zeiten im Billroth getroffen. Der redet nur von sich. Seit er Elektrotechnik studiert, hat er aufgehört, mir zuzuhören. Er schüttet mich mit seinen Weibergeschichten zu. Fixe Beziehungen mag er nicht, die sind zum Verspießern da, meint er. Dann haut er mir auf die Schulter und sagt, bei der Dolly tät ers auch eine Weile aushalten. Ich glaub, der hat keine Frauen, bloß eine große Goschn.
     
    8. 10.
    Den Bariton beim Brahms wird der Höppner singen, den ich mit Margit als Escamillo gesehen hab. Was würde Vater

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