Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
Vom Netzwerk:
Worten, die er selbst hinter Frauls Worte stumm einsprach. Er hörte bei der Erzählung Frauls sich selbst erzählen. Nach einigen Minuten unterbrach er Frauls Bericht und setzte ihn zugleich fort:
    »Aber dir sind die Kakaosprudler bei dem harmlosen Abenteuer wohl geblieben. Mit achtzehn war ich das letzte Mal auf der Rax. Im Jahr vor Spanien. Frühjahr neunzehnsiebenunddreißig. Ich bin damals den Gamsecksteig nauf, und zwar von Hinternasswald, wie sichs gehört, das ganze Geschäft bis zur Kuppe. Oder dann den Gretchensteig, fast
freihändig. Nachdem ich auf der Raxernen war, hab ich meine Radkriterien gewonnen. Volkertrennen, Ringrundkriterium, Wien–Gresten–Wien. Drei in einem Jahr.«
    Brauneis riss sich das Zigarettenpackerl auf, hielt Fraul eine hin. »Noch immer nicht? Na ja, ich sollt auch aufhören mit der Tschickerei.« Er blies den Rauch durch die Nase. »Weißt, was komisch ist, Edi? Dass ich nach fünfzig Jahren, vorige Wochen ists sage und schreibe fuffzig Jahrln her, dass ich mich noch immer nicht abfinden kann mit der Oaschsitzerei. Wenn einer sagt, er ist am Oasch, hörst du, der weiß gar nicht, was er da redet. Ich bin am Oasch. Seit fuffzig Jahren sitz ich dahier auf dem Popsch. Sechzehn Jahre auf der linken, sechzehn Jahre auf der rechten, achtzehn Jahre auf beiden Arschbacken. Oder umgekehrt? Prost. Was machen deine Nazi?«
    Fraul öffnete seinen Mund, Brauneis sprach weiter.
    »Auf die Rax haben sie sich nicht auffetraut, und auch die Hahnenschwanzler nicht. Die Rax war befreites Gebiet, weißt noch?«
    »Hat dem Ressel nichts genutzt«, sagte Fraul.
    »Wieso?«
    »Aber Ferdl. Er hat doch den Egger getroffen. Das hat ihm das Leben gekostet.«
    »Merkwürdig«, sagte Brauneis. »In fünfzig Jahren war das der einzige Nazi, der auf der Rax war. Was ist denn jetzt mit dem Schädelknacker?«
    »Er rennt frei herum. Weißt du doch.«
    »Der sollte einmal fuffzig Jahr am Oasch sitzen! Geh, Edi, gib mir die Pulver. Dorten.«
    Fraul stand auf, holte die Tabletten und schob sie dem Brauneis hin. Der nahm zwei, spülte mit Weißwein nach. »Salud.«
    »Ich werde den Egger schon noch drankriegen«, sagte
Fraul. »Kurz vor Kriegsende hat er noch in Mauthausen gewütet. Ist gerichtlich nicht zur Sprache gekommen.«
    »Ach was«, sagte Brauneis. »Davon haben wir doch nix. In Spanien hätten wir diese Verbrecher noch aufhalten können, wenn wir gewonnen hätten. Ich bin froh, dass ich dort war, trotz alledem. Im nächsten Leben wiederum. Aber da nehm ich die Haxen wieder mit zhaus.« Er lachte. »Schau hin. Neuer Fernsehapparat. Ich verblöde. Wenn ich was les, verlier ich nach ein paar Minuten die Zeilen. Jetztn schaue ich halt hauptsächlich ins Kastl.«
    Fraul sagte dazu nichts. Es wurde still im Reumannhof, bloß von der Grünanlage waren Kinder zu hören. Die Wanduhr tickte. Edmund stand auf. Brauneis schreckte hoch.
    »Entschuldige«, murmelte er. »Noch ein Glaserl?«
    »Ich muss wieder.« Fraul gab Brauneis die Hand.
    »Immer von oben«, sagte Brauneis. »Könnt ihr euch nicht erst hinsetzen, bevor ihr mir das Handerl gebt, hä?«
    »Das nächste Mal. Adios, Ferdl.«
    »Adios, Edi. No pasarán.«
    »Pasaremos.« Brauneis schlug mit der Faust auf den Tisch.
    »Schneckn. Die sind durchgekommen. Die kommen immer durch.«
    »Nicht immer.«
    »Servus.«
    Fraul stieg die Stockwerke hinunter und trat auf die Straße. Er zuckte die Achseln, ging den Gürtel entlang Richtung Arbeitergasse. Als ein Passant an ihm vorbeiging, blieb Fraul stehen und drehte sich um. Der andere war ebenfalls stehengeblieben und hatte sich umgedreht. Fraul sah dem Egger ins Gesicht. Egger blickte zweifelnd auf Fraul, machte kehrt und ging davon. Ich muss ihm nach, dachte Fraul.
Er tat einige Schritte. Egger hatte ein Taxi angehalten, war eingestiegen und fuhr nun an Fraul vorüber.
    34.
    Zoltán Nemecsek kam mit Florence aus Berlin, um nunmehr selbst den HEILSBRINGER zu übernehmen. Am ersten Probentag stand er vor dem Ensemble.
    »Kinder«, sagte er. »Adel war so freundlich und hat mich über den Stand informiert. Ihr sollt wissen, ich bin natürlich wer anderer als er. Gehen wir es sachte an.«
    Bevor sich alle zur Szene formierten, winkte Nemecsek Karl Fraul von der Bühne herunter. Er ging mit ihm aus dem Zuschauerraum hinaus, setzte sich draußen auf die Stufen.
    »Wollen wir einen Neustart probieren, mein Sohn?«, sagte er zu Karl. »Oder muss ich mir irgendeinen Grünschnabel suchen und ihm die Nazizeit von Alpha nach

Weitere Kostenlose Bücher