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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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Omega und zurück erklären?«
    »Sie haben mir in Berlin gesagt«, sagte Karl mürrisch, »ich sollte den Benjamin wie durch ein Megafon einsprechen. Außerdem wollten Sie, dass ich ihn vom Blatt spiele.«
    »Gut.«
    »Ich sollte mir vorstellen, ich säße in England in der Emigration und schaute zugleich auf meinen Vater drauf, der in Ungarn vor den Nazis katzbuckelt.«
    »Das habe ich Ihnen in Berlin nicht gesagt.«
    »So hab ichs verstanden.«
    »Auch nicht schlecht. Sie deuteten an, Sie seien zu involviert in die Sache. Ihr geschätzter Vater …«
    »Mein von mir überaus geschätzter Vater, der Auschwitz
held, war und ist ganz anders als Salomon Ruben, der doch bloß Bücklinge produziert.«
    Nemecsek lächelte. »Gehen wir.«
    Zurück bei der Probe, bat er um die achte Szene. »Herr Vesely, Herr Fraul, Herr Dünster. Bitte.«
    Er setzte sich in die erste Reihe.
    Vesely humpelte auf Fraul zu:
    » Mit deinem Ungestüm, deinem hysterischen Gebaren, deinen abenteuerlichen und romantischen Gelüsten bringst du uns in Lebengefahr, mein Sohn. «
    Fraul hielt Vesely auf, indem er sich vor ihm aufpflanzte. Er sprach von oben gegen Veselys Glatze mit leisem, etwas weinerlichem Ton:
    » Pah. In Lebensgefahr sind wir ständig. Ich hab gorkeine Gelüste. Ich will leben. Ich will, dass unser Volk lebt. Wehren wir uns. Wir sollten den Nazis die Schädel einschlagen, sobald es Gelegenheit gibt. «
    Vesely kratzte sich am Kopf: » Jajaja, Herr Makkabäer … «
    Nemecsek unterbrach: »Sagen Sie nur : Ja, du Makkabäer, mein Masadnik. Du träuäuäu-mst. «
    Vesely nickte, murmelt leise: »Steht nur teilweise in Ihrem Text. Aber na schön.« Er wiederholte Nemecseks Sätze und fuhr fort: » Sieh dich um. Wer sind wir? Samma Wüstenkrieger? «
    »Nicht samma, Herr Vesely.«
    »Pardon, blöd. Wer sind wir? Sind wir Wüstenkrieger, Partisanen, Anarchisten? O-der: Bürger dieses Landes. Friedlich und … «
    Fraul sollte ihn unterbrechen, stand aber starr da und sah Vesely in die Augen.
    »Er unterbricht mich nicht«, wandte der sich an Nemecsek.
    »Schön, dann unterbricht er nicht. Unterbrechen Sie sich selber.«
    »Wie?«
    »Hören Sie zu reden auf.«
    »Aha. O-der Bürger dieses Landes. Friedlich und … «
    Nach einer Weile sagte Fraul leise und scharf:
    » Feige, immer aufs Geschäft. Hier brauchen wir was andres. Auch wenn wir krepieren. Wir nehmen uns, was in unsere raffgierigen Hände fällt: jede deutsche Gurgel. Und drücken zu! «
    Vesely: » Nichts davon! Ich bin der Judenälteste! «
    » Du nennst dich Juden-ältester? Vater? Von Lindes Gnaden? «
    Nemecsek stand auf: »Beiläufig, Karl: Dunennstdichjudenältestervater. Vonlindesgnaden.«
    Karl dachte an Edmund und sagte: Du nennstdichjuden Ältestervonlindesgnaden!
    Nemecsek nickte: »Bitte weiter.«
    Vesely: » Gib Ruh. Scha! Ich liefere dich ansonsten aus. Ich geb dich preis, ich geb dich preis! « Sprach es und schlurfte von der Bühne.
    Karl schaute ihm so nach, dass Vesely unwillkürlich im Abgehen ein hohles Kreuz machte.
    Es folgte ein kurzer Monolog von Fraul, den er so sprach, dass Nemecsek der Atem wegblieb. Er schloss die Augen, und sein Vater, Bela Szilasi, überquerte in Budapest wieder die Straße, das letzte Bild, bevor die SS ihn einsteckte und in Birkenau in die Wolken blies. Er blieb stehen, den Text in der Hand, schaute zu Fraul hinauf. Der Probenhorizont riss auf, und ein staubiger ungarischer Ghettowind, der einen süßlichen Geruch in sich eingeschlossen hatte, hob an und umhüllte das Bühnengeschehen, an dessen Rand der heutige Regisseur ausharren musste. Zwischen ihm und den Schauspielern war das ärmliche ungarische Städtchen zu sehen, auf dessen ausgetrocknetem Boden, flankiert von der SS , ausgemergelte Gestalten Richtung Bühne wankten, sie nicht erreichten.
    Dünster kam von der Seite, führte den geduckten und schreckensstarren Vesely am Ohr zur Bühnenmitte. Als Obersturmbannführer Linde sprach er zu Fraul:
    » Hab ich da einen Streit gehört zwischen Tate und Kindele? «
    Vesely: » Kein Streit, Herr Obersturmbannführer. « Linde ließ Vesely aus: » Hat der Jid Rachemones, oho? «
    Dünster unterbrach sich.
    »Herr Nemecsek, meine Frau hat mir gesagt, das heißt Rachmones, da aber steht Rachemones.«
    »Wenn im Text Rachemones steht, dann sagen Sie bitte auch Rachemones. Rachmones heißt Furcht, Herr Dünster. Linde glaubt, Juden und Rache sind dasselbe, und sagt im Spaß Rachemones. Ich weiß, matte Sache, aber so war es

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