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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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nunmal in meinem Hirnkasten drin. Bitte weiter.«
    Dünster: » Ich brauche heute noch paar Witz. Ächtes jiddisches Witz. In einer Stunde bei mir, Salomon Ruben! «
    Und Dünster ging ab, sich hiebei übertrieben in der Hüfte wiegend.
    Karl Fraul: » Was, du erzählst ihm Witze? «
    Vesely: » No-ja. Witze. Es macht ihm Laune. Dann redet sichs mit ihm .«
    Fraul, flüsternd: » Heilsbringer. Witzerzähler. Sklav .«
    Er ging mit dem Rücken voran ab, als würde er vor dem personifizierten Grauen zurückweichen. Das rührte Vesely so an, dass er gebrochen den Schlusssatz der Szene hinbekam:
    » Vielleicht hat er ja recht. Ist alles für die Katz. Ist alles für den Ofen. Herr, gib mir ein Zeichen. Oder besser: gib mir keins. «
    Zoltán Nemecsek nickte. »Kurze Pause.« Er stieg auf die Bühne, legte dem Vesely den Arm um die Schulter und flüsterte ihm zu:
    »Sehr schön, Moritz. Das Ganze am Schluss mit halb so viel Gefühl. Danke.«
    Und zu Karl sagte er wenig später:
    »Weiter mit dem Fernrohr hinschauen auf den vertilgten Salomon Ruben. Glück und Ende.«
    Er legte beide Hände auf Karl Frauls Schädel.
     
    Mit zwei Koffern und einigen Taschen flog Astrid von Gehlen nach Nürnberg, orderte dort ein Taxi und ließ sich nach Marloffstein bringen. Vor dem Haus Lug-ins-Land-Straße Ecke Scheibelleithe stieg sie aus. Als sie niemanden sah, öffnete sie die Beifahrertür des Wagens und rief dem Taxler zu, er möge hupen. Nach wiederholter Huperei ging die Tür auf, und zwei Mädchen kamen herausgesprungen, die zehnjährige Petra und die vierzehnjährige Daniela. »Tante Astrid«, krähte die Kleinere, während die Größere stehenblieb, um zuzusehen, wie Petra Astrid in die ausgebreiteten Arme hüpfte. Karolin erschien, eilte zum Taxi, nahm Astrid das Kind vom Hals und umarmte sie heftig. Daniela kam angeschlendert und begrüßte ihre Tante. Karolin befahl ihr, eine Tasche zu nehmen, packte selbst zwei Koffer, während Astrid den Fahrer bezahlte. Im Haus wollte Karolin ihrer Schwester alsogleich die beiden Zimmer zeigen, eines davon Danielas, das diese räumen musste. Doch Astrid wollte verschnaufen, und so nahmen die Schwestern am Küchentisch Platz. Nach einer Minute stand Karolin wieder auf, um Kaffee zuzubereiten.
    Astrid war erst einmal zu Besuch in Marloffstein gewesen. Das war kurz nach dem Umzug von Karolin aus Bonn, wo sie im Verkehrsministerium als Juristin gearbeitet hatte. Bei einer Besprechung mit Siemensmanagern lernte sie den Bauingenieur Tilman Galster kennen, der sie hernach von Erlangen aus, wo er arbeitete, mit täglichen Briefen und wöchentlichen Blumensendungen umwarb. Sie heirateten neunzehnvierundsiebzig, und im selben Jahr kam Daniela
zur Welt. Karolin blieb zu Hause, Tilmännchen verdiente ausreichend. Schließlich neunzehnachtundsiebzig: Petra. Bei der Taufe von Daniela war Astrid anwesend gewesen. Sie spielte damals in Essen und hatte ihre ersten großen Erfolge, die sie im ganzen Land bekannt machten. Zu den meisten Premieren reiste Karolin mit Tilman an. Sie war stolz auf ihre jüngere Schwester und nahm sich ihren Anteil an deren Ruhm, indem sie sich in den kurzen Pausen, die ihr der Alltag ließ, schönen Tagträumen in Farbe hingab.
    Abends kam Tilman vom Büro. Sie setzten sich alle um den großen Tisch. Tilman erkundigte sich nach Felix, erzählte von seiner neuen verantwortungsvollen Position im Konzern. Nach dem Essen tat er das Geschirr in die Spülmaschine, brachte die protestierende Petra ins Bett, indes Daniela sich vor dem Fernseher knotzte, den einzuschalten sie nicht hatte erwarten können, noch bevor Karolin das Dessert auftischte.
    In den nächsten Tagen bewanderte Astrid die Umgebung, anfangs ging Karolin mit und zeigte ihr den Märchenweiher, den Wasserturm und das Haus der Schauspielerin Elke Sommer. Astrid verzog die Mundwinkel, sah auf die Fenster:
    »Niemand da?«
    »Sie ist selten hier.«
    Aber einmal hätte sie Frau Sommer gesehen, wie sie sich nackt in der ehemaligen Tongrube bräunte und dann wie ein Kind pritschelnd ins Wasser gelaufen wäre. Die Schwestern besuchten etliche Biergärten, und Astrid musste sich durch die fränkischen Spezialitäten durchkosten.
    Zunehmend ging ihr die Schwester auf die Nerven. Sie wollte mehr allein sein. Sie unternahm größere Ausflüge mit Karolins Auto in die Fränkische Schweiz, bestieg das Walberla und den Signalstein, fuhr durch blühende Kirsch
baumalleen, besichtigte die Binghöhle in Streitberg und die Sophienhöhle

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