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Der Kalte

Der Kalte

Titel: Der Kalte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Schindel
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im Ailsbachtal. Auf der Burgruine Neideck rutschte sie aus, stürzte auf die Hüfte, holte sich einen großen blauen Fleck, dessen Umriss der Insel Irland glich.
    Nach zwei Wochen fragte sie sich, was sie hier verloren hatte. Die Nichten nervten sie von Tag zu Tag mehr, das Gezwitscher ihrer Schwester war kaum mehr zu ertragen, die Firmengeschichten, die Tilman abends zum Besten gab, waren für sie von einer unfassbaren Ödess.
    Wo sollte sie hin? Es verließen sie die Kräfte, und sie begann auf ihren Zimmern zu bleiben, schlitterte allmählich in dunkelnde und menschenleere Gefilde; es begannen sie nächtens verstörende Träume heimzusuchen, oder sie lag stundenlang wach und litt unter Schweißausbrüchen und Kopfschmerzen. Karolin holte den Arzt, der seinen Kopf wiegte und ihr Antidepressiva verschrieb.
    Karolin rief Dauendin in Wien an. Felix kam auf ein Wochenende. Er spazierte mit Astrid durch Erlangen. Sie saßen im Garten vom Café Lorleberg, er sprach in sie hinein. Nachdem er wieder weggefahren war, kam Astrid öfters von ihrem Schlafraum herunter, ging abends nach Erlangen aus und blieb gelegentlich über Nacht dort, wenn sie im Theatercafé hängengeblieben war. Dann nahm sie ein Zimmer im Hotelchen und fuhr in der Früh mit dem Autobus nach Marloffstein zurück.
    Ende Mai bekam sie einen Anruf von Dietger Schönn. Sie packte ihre Koffer.
    35.
    Der Sturm fetzte in den Flieder, Rosinger, der im Gasthaus Butterfassl auf Fraul wartete, zog sich vom Garten ins Lokalinnere zurück. Edmund Fraul kam mit hochgezogenen Schultern vom Konstantinhügel, suchte den Garten nach Rosinger ab, wollte kehrtmachen, als Rosinger aus dem Lokal herausgelaufen kam.
    »Zu windig für draußen.«
    Fraul nickte und ging mit Rosinger in die Wirtsstube.
    »Wir sollten mit den Auschwitzgeschichten aufhören«, sagte Fraul, nachdem die beiden das Menü bestellt hatten.
    »Sie haben sich das gewünscht. Von mir aus können wir über Angenehmeres reden.«
    »Zum Blabla muss ich mich nicht mit Ihnen treffen. Schießen Sie los, Wilhelm. Was haben Sie heute auf Lager?«
    »Aus dem Lager auf Lager«, murmelte Rosinger.
    »Sie schauen schlecht aus«, sagte Fraul. »Blass. Krank?«
    »Mir geht es gut. Der Sohn vom Aumeier, er hat auch Hans geheißen, ist häufig im Lager spazieren gegangen. Angeblich hat er die Schüsse einer Hinrichtung an der Schwarzen Wand gehört, hat sich angeschlichen und ist dann mit voller Hose auf die Kommandantur gelaufen. Höß hat ihn beruhigen müssen. Mir hat der Aumeier erzählt, dass ein Kamerad seinen Sohn nach Birkenau mitgenommen gehabt hat, als der dort dienstlich mit Ihrem Doktor Wirths zu tun hatte. Der kleine Hans lief auf der Lagerstraße auf und ab, schaute sich um und hüpfte in Blocks hinein. Ein SS ler hat ihn beim Block sieben geschnappt und wollte ihn, obwohl er gut gekleidet war, einfach auf einen Lastwagen dazuschmeißen, auf dem schon etliche Selektierte standen und lagen. Ich war mit Klehr bei Entress zum Rapport, weiß
nicht mehr, worum es ging, da kam der Kapo Macek hereingestürzt, riss sich die Mütze vom Kopf und schrie etwas vom Sohn des Hauptsturmführers Aumeier, der auf einem Lkw gelegen wäre und wie am Spieß gebrüllt hätte. Aumeier ging nach draußen und holte seinen Hansi herunter. Seitdem hat der Hansi immer ein Schild um den Hals tragen müssen, auf dem gestanden ist: Ich bin Hans Aumeier, Sohn des Hauptsturmführers Hans Aumeier.«
    »Da ist was anderes draufgestanden«, sagte Fraul. »Ich hab den Buben auch gesehen. Später hat er eine schwarze SS -Uniform getragen. Eine für Kinder. Einmalig. Was ist aus Macek geworden? Wissen Sie das?«
    Rosinger schüttelte den Kopf.
    »Ich erzähle heute nichts aus dem Lager. Oder doch! Ich bin dem Egger am Gaudenzdorfer Gürtel begegnet.«
    Rosinger senkte den Kopf, denn er wollte nicht, dass Fraul den Gedanken in seinem Gesicht las, der ihm durch den Kopf ging: Hat er an ihm riechen können?
    »Er ist in ein Taxi gestiegen, und weg war er«, fuhr Fraul fort.
    »Ich bleibe dran, wenn Sie es weiter wollen.«
    »Egal.«
    Sie aßen und schwiegen dabei. Rosinger ging auf die Toilette und erbrach das soeben gegessene Kalbsgulasch mit Nockerln. Der Schweiß rann ihm in die Augen, er schnäuzte sich und musste nochmals speiben. Zurückgekehrt, warf Fraul einen Blick auf sein Gesicht.
    »Gehen Sie heim!« Rosinger zog die Schultern zu den Ohren und ließ sie fallen. Er sah zum Fenster hinaus und nickte.
    »Ich übernehme das«, sagte Fraul.

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